Modernisierungen im Bereich des Kindschafts- und Familienverfahrensrechts, etwa aufgrund gesellschaftlicher Ereignisse und Entwicklungen oder stetig wandelnder Familien- und Lebensformen, sind essenziell. Sie stellen auch einen Grundbaustein für gute Kinderschutzverfahren und zum effektiven Schutz der Grundrechte sowie des Wohls von Kindern und Jugendlichen dar. So verkündete das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom 16.6.2021 erfreulicherweise und nach anhaltenden Appellen eine Ergänzung der Anforderungen an die familienrichterlichen Fach- und Grundkenntnisse in § 23b Abs. 3 S. 3–5 GVG, welcher seit dem 1.1.2022 nunmehr rechtsgültig ist. In § 23b Abs. 3 S. 3 GVG heißt es anschaulich, dass Familienrichterinnen und Familienrichter – i.d.R. schon zum Zeitpunkt der familiengerichtlichen Aufgabenzuweisung – belegbare Kenntnisse auf den Gebieten des Familienrechts, insbesondere des Kindschaftsrechts, des Familienverfahrensrechts und der für das Verfahren in Familiensachen notwendigen Teile des Kinder- und Jugendhilferechts sowie über belegbare Grundkenntnisse der Psychologie, insbesondere der Entwicklungspsychologie des Kindes, und der Kommunikation mit den Kindern aufweisen sollen. Diese interdisziplinäre Qualifizierungsverpflichtung gilt dabei für Richterinnen und Richter sowohl des erst- als auch des zweitinstanzlichen Verfahrens in Kindschaftssachen. Sind diese besonderen Qualitätsanforderungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht garantiert, bestimmt § 23b Abs. 3 S. 4 GVG, dass die Zuweisung von familienrichterlichen Aufgaben an eine Richterin oder einen Richter nur in dem Falle umgesetzt werden darf, wenn deren Erwerb alsbald erfolgen wird. Schließlich regelt § 23b Abs. 3 S. 5 GVG eine Abweichung von den Anforderungen nach den Sätzen 3 und 4 bei Richterinnen und Richtern, die nur im Rahmen eines Bereitschaftsdienstes mit der Wahrnehmung familiengerichtlicher Aufgaben befasst sind.
Die neuen Inhalte der Vorschrift verdeutlichen einmal mehr, welchen hohen Rang fundiertes Wissen innerhalb der genannten Gebiete und Interdisziplinarität in familiengerichtlichen Verfahren gerade in Kindschaftssachen einnehmen und dass es wichtig und mittlerweile unverzichtbar ist, Kindeswohl und Kindesschutz über die eigenen Fachgrenzen hinweg zu deuten und zu verstehen. Insbesondere die Kindesanhörung erfordert vor allem eine aus kindespsychologischer Perspektive sensible und für die Minderjährigen möglichst entlastende, entgegenkommende und einfühlsame Gesprächs- und Kommunikationsführung. Hinzu kommt, dass sie auch ein fachgemäßes sowie richtiges Erkennen der verfahrensgegenständlichen Äußerungen und Verhaltensweisen der anzuhörenden Minderjährigen, aber auch einer bestehenden bzw. bevorstehenden Kindeswohlgefährdung voraussetzt, welche die Familienrichterin oder der Familienrichter bis dato meistens nicht gelernt hat. Darüber hinaus stehen Familienrichterinnen und Familienrichter innerhalb ihrer Tätigkeit Entscheidungen gegenüber, die sowohl hohe Grundrechtsrelevanz als auch enorme Auswirkungen auf das alltägliche Leben der betroffenen Familien, insbesondere der Minderjährigen, auch für deren Zukunft haben. Schließlich bietet die Qualifizierungs-/Fortbildungspflicht den Richterinnen und Richtern eine gute Möglichkeit, den eigenen Blick zu weiten und zu sensibilisieren, ggf. die eigene Praxis zu reflektieren sowie fundiertes Wissen aus verschiedenen Fachrichtungen zu erlangen und in die eigene Praxis aufzunehmen. Breitgefächertes Wissen kann vor allem auch dazu beitragen, Fehler (quellen) in der (eigenen) familiengerichtlichen Praxis zu erkennen und künftig zu vermeiden. Durch Aneignung noch fehlender fachübergreifender Kompetenzen können so auch sekundäre Kindeswohlgefährdungen, die aufgrund einer Fehleinschätzung/-entscheidung durch die Professionen selbst herbeigeführt werden, minimiert werden. Insgesamt ist die Fortbildungsverpflichtung als eine erhebliche Chance zu identifizieren, die Qualität und den Stellenwert von Kinderschutzverfahren über die Instanzen hinweg zu steigern. Die interdisziplinären Qualitätsanforderungen an Familienrichterinnen und Familienrichter dienen daher unmittelbar der Verbesserung von Kinderschutzverfahren. Allerdings darf bei der Umsetzung nicht unberücksichtigt bleiben, dass auch die entsprechenden Rahmenbedingungen hierfür geschaffen werden müssen. Insbesondere sind neben den zeitlichen und personellen Ressourcen an der Familiengerichtsbarkeit passgenaue Qualifizierungs-/Fortbildungsangebote für das familienrichterliche Personal, etwa in Form von Einführungslehrgängen, besonders für Dezernatseinsteigerinnen und Dezernatseinsteiger, unabdingbar. Ein gesetzlich normierter Anspruch auf Qualifizierung/Fortbildung für Familienrichterinnen und Familienrichter sollte entsprechend eingeführt werden.