Der betreuende Elternteil kann bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres des Kindes frei entscheiden, ob er die Betreuung persönlich übernimmt. Selbst wenn er in dieser Zeit schon eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hatte, kann er sie jederzeit als überobligatorisch wieder aufgeben. Nutzt der Elternteil in dieser Zeit allerdings eine Betreuungsmöglichkeit in einer öffentlichen Einrichtung oder durch eine andere Betreuungsperson, ist ihm eine anteilige Erwerbstätigkeit zumutbar; ein erzieltes oder erzielbares Einkommen ist dann nach Abzug der den betreuenden Elternteil treffenden Kosten als überobligatorisches Einkommen anteilig zu berücksichtigen.
Für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts über die Vollendung des 3. Lebensjahres hinaus hat der betreuende Elternteil stets individuelle Umstände vorzutragen. Denn ein pauschales Altersphasenmodell, das für die Dauer des Betreuungsunterhalts über die Vollendung des dritten Lebensjahres hinaus allein oder überwiegend auf das Alter des Kindes abstellt und die Umstände des Einzelfalls nicht berücksichtigt, wird der gesetzlichen Regelung nicht gerecht. Kindbezogene Verlängerungsgründe liegen vor, soweit eine persönliche Betreuung durch einen Elternteil erforderlich ist, etwa wenn keine Betreuung in einer öffentlichen Einrichtung möglich, dies im Einzelfall nicht mit dem Kindeswohl vereinbar ist oder ein Betreuungsbedarf besteht, der nicht anderweitig sichergestellt werden kann. Eine Fortdauer des Betreuungsunterhalts über die Vollendung des dritten Lebensjahres hinaus kann zudem aus elternbezogenen Gründen gerechtfertigt sein. Dabei ist auch die Anzahl der zu betreuenden Kinder und der Umstand zu berücksichtigen, dass kein abrupter Wechsel von einer Vollzeitbetreuung zur Vollzeiterwerbstätigkeit erfolgen muss. Wenn der betreuende Elternteil seine Erwerbstätigkeit zum Zwecke der Kinderbetreuung aufgegeben hatte, kann auch die nacheheliche oder nachfamiliäre Solidarität für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts aus elternbezogenen Gründen sprechen.
Unabhängig davon ist der betreuende Elternteil nicht stets in dem Umfang erwerbspflichtig, in dem die Betreuung des Kindes in öffentlichen Einrichtungen sichergestellt ist, weil dies zu einer überobligatorischen Gesamtbelastung führen würde. Steht für ein dreijähriges Kind lediglich ein Halbtagsplatz im Kindergarten zur Verfügung, bleibt dem betreuenden Elternteil regelmäßig lediglich die Möglichkeit zur Übernahme einer geringfügigen Erwerbstätigkeit. Neben der Betreuung des Kindes in einem Vollzeitkindergarten ist der Elternteil nicht sogleich zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit, sondern – je nach Umständen des Einzelfalles – regelmäßig zu einer Erwerbstätigkeit zwischen 20 und 30 Wochenstunden verpflichtet.
Allerdings hängt der Umfang der Erwerbspflicht auch von besonderen kind- und elternbezogenen Gründen und vom Entwicklungsstand des Kindes ab. Erst wenn das Kind einen Entwicklungsstand erreicht hat, in dem es unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zeitweise sich selbst überlassen bleiben kann, kommt es aus kindbezogenen Gründen nicht mehr auf eine vorrangig zu prüfende Betreuungsmöglichkeit in einer kindgerechten Einrichtung an. Zwar war dieser Zeitpunkt nach dem früheren Altersphasenmodell erst erreicht, wenn das Kind das 14. Lebensjahr vollendet hatte und der Gesetzgeber hat sich mit dieser Frage im Rahmen der Unterhaltsreform 2008 nicht ausdrücklich befasst. Er hat aber ausdrücklich geregelt, dass die Dauer des Betreuungsunterhalts nicht mehr pauschalt allein nach dem Alter, sondern individuell bestimmt werden soll.
Wenn die neuere Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dieser Grundlage von einer vollschichtigen Erwerbspflicht des betreuenden Elternteils nach dem Wechsel des Kindes von der Grundschule auf die weiterführende Schule ausgehen, dürfte dies dem Willen des Gesetzgebers annähernd entsprechen. Allerdings sollte dabei der individuelle Umstand berücksichtigt werden, dass ein Schulwechsel für das Kind mit einer zusätzlichen Belastung verbunden ist. Im Regelfall sollte deswegen der Abschluss der 5. Klasse in der weiterführenden Schule abgewartet und erst dann eine vollschichtige Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils verlangt werden. Für ein darüber hinausgehendes Erfordernis für eine persönliche Betreuung können sonstige individuellen Umstände sprechen, die der betreuende Elternteil im Einzelfall darzulegen und zu beweisen hat.
Der Beitrag wird im nächsten Heft fortgeführt.
Autor: Hans-Joachim Dose, Rechtsanwalt und Vorsitzender Richter am BGH a.D., Nürnberg Dr. Daniela Rubenbauer, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht, Nürnberg
FF 10/2024, S. 383 - 395