Mit forum shopping ist bekanntlich gemeint, dass die schnellere und besser anwaltlich beratene Partei sich über die Wahl des zuständigen Gerichts den Zugang zu dem ihr günstigeren materiellen Recht verschaffen kann. Denn das angerufene Gericht wendet die lex fori an. Zu dieser gehört auch – bei Auslandsbezug eines Falles – das Internationale Privatrecht des Gerichtsstaats. Die Internationalen Privatrechte der Verordnungsmitgliedstaaten sind aber nicht – ein Optimist würde sagen: noch nicht – vereinheitlicht. Daher wird es häufig dazu kommen, dass die Internationalen Privatrechte unterschiedlicher Staaten jeweils auch auf ein unterschiedliches Sachrecht verweisen. Damit gehen oft durchaus beträchtliche Folgen für das rechtliche Ergebnis eines Falles einher.
Dies gilt umso mehr, als der Anwalt angesichts der Zahl und Alternativität der von der Europäischen Union geschaffenen Gerichtsstände erheblichen Gestaltungsspielraum für das Betreiben von forum shopping hat, man könnte provokant geradezu von einer Einladung hierzu sprechen.
Diese Möglichkeit zu nutzen, ist für Anwälte zudem freilich eine Pflicht, andernfalls kann ihr Mandant u.U. Regress bei ihnen nehmen. Es wird von Anwälten zu erwarten sein, dass sie die Normen des Internationalen Privatrechts und die materiellen Familienrechte der in Betracht kommenden Mitgliedstaaten auf die Günstigkeit für ihren Mandanten hin untersuchen, deren Anwendbarkeit im Einzelfall erreicht werden kann. Dabei müssen sie natürlich nicht nur die Ehescheidung, sondern auch die Folgesachen im Auge behalten.
Nehmen Sie folgendes erstes Anschauungsbeispiel:
Fall 1
M und F, beide Franzosen, heiraten in London, wo sie sich niederlassen. M arbeitet im Finanzgeschäft in der Londoner City und drängt deswegen auf den Abschluss eines Ehevertrags mit Totalverzicht, den F unterschreibt. Schnell kommt das erste Kind, um das sich F als Mutter und Hausfrau in der Nobelvilla in London kümmert, bald danach kommen die ersten Millionen. M wird aber Opfer der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise – interessant ist übrigens, dass diese, wie mir berichtet wurde, nicht für alle Rechtsanwälte umsatzmindernd wirkt, nämlich nicht für diejenigen, die sich auf das internationale Familienrecht spezialisiert haben! Die Ehegatten sind gezwungen, auf Annehmlichkeiten wie – freilich u.a. – die Jacht und das Ferienhaus in Deauville zu verzichten. Das erträgt F nicht und bald ist klar, dass die Ehe gescheitert ist.
Nun mag man das Auseinandergehen der Ehepartner mit Goethe abtun: "Was ist’s denn so großes Leiden? Geht’s nicht, so lassen wir uns scheiden."
Doch das sagt natürlich nichts über die Scheidungsfolgen aus. Hier mag eher Seneca weiterhelfen: "Je heller das Feuer scheint, desto leichter ist es gelöscht" – als Familienrichter möchte ich hinzufügen: und desto grabeskälter ist die verbleibende Asche in der gerichtlichen Auseinandersetzung.
Lösungsmöglichkeiten Fall 1
Welche Möglichkeiten gibt es in unserem Fallbeispiel?
Ruft F das englische Gericht an – das für die Scheidung schon nach Art. 3 Abs. 1 Buchstabe a, 2. Anstrich der Brüssel IIa-Verordnung (letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt der Ehegatten) international zuständig ist, für den Unterhalt nach Art. 5 Nr. 2 Brüssel I-Verordnung und für die Regelung der güterrechtlichen Verhältnisse der Ehegatten ob seines nationalen Rechts –, so könnte sie Millionenbeträge erstreiten: Das gemeinsame Haus, unter Umständen lebenslangen Unterhalt usw.; denn der englische Richter wendet sein eigenes internationales Privatrecht an – dieses verweist auf die lex fori. Der für F ungünstige Ehevertrag könnte leicht vom englischen Gericht außer Acht gelassen werden, vor allem, wenn F bei dessen Abschluss nicht eigenständig rechtlich vertreten war (das ist in unserem Fall ja durchaus nicht unwahrscheinlich … ). Den englischen Richter wird es nach seinem Recht auch weniger kümmern, ob die Vermögensgegenstände des Mannes vor oder erst während der Ehe erworben oder beispielsweise von ihm ererbt wurden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Vermögenswerte einfach verteilt werden; 1/3 davon für F sollte drin sein, wenn sie Glück hat, noch mehr.
Ist M schneller – oder versteht der Rechtsanwalt von F nichts vom Internationalen Familienrecht – und wird das französische Gericht angerufen (die internationale Zuständigkeit folgt hier aus Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b der Verordnung: gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten), wird F aus ihrem Traum, von "ihrem" Richter werde sie ja wohl gut bedient werden, böse erwachen. Internationale Familienrechtsstreitigkeiten sind keine Fußballspiele; es gibt grundsätzlich keinen Heimvorteil. Der französische Richter hat nach seinem eigenen Internationalen Privatrecht ob der gemeinsamen französischen Staatsangehörigkeit der Ehegatten französisches Sachrecht – auf die Scheidung wie auch a...