Einführung
Verschriftete Fassung eines am 22.5.2009 beim 60. Deutschen Anwaltstag in Braunschweig im Rahmen der Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht gehaltenen Vortrags. Der Vortragsstil wurde beibehalten.
Einleitung
Meine sehr verehrten Damen und sehr geehrten Herren,
Zunächst möchte ich dem Geschäftsführenden Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht – namentlich diesen stellvertretend Ihnen, liebe Frau Rakete-Dombek – herzlich dafür danken, dass Sie mir die Gelegenheit gegeben und das Vertrauen geschenkt haben, heute nach den Herren Professoren Brudermüller und Schwab zu Ihnen zu sprechen. Je näher der heutige Tag gerückt ist, desto schwieriger fiel mir eine Antwort auf die Frage, ob die von mir diesbezüglich empfundene Ehre oder die Freude darüber größer ist.
Zur Berechtigung des Themas "Europäisierung des Familienrechts" braucht man kaum etwas zu sagen: Die Globalisierung hat die vormals als exotisch beäugten grenzüberschreitenden Liebesbeziehungen gerade auch in wohl situierten, hochmobilen Kreisen zur Gewohnheit werden lassen.
Mit der stetigen Zunahme binationaler Ehen und Beziehungen ist eine ständig wachsende Zahl grenzüberschreitender familienrechtlicher Fälle verbunden. Von der Brüssel IIa-Verordnung sind nach Auskunft des Europäischen Parlaments rund 16 % der Ehepaare in der EU betroffen. Allein in Deutschland leben rund 30.000 binationale Paare in Scheidung, EU-weit sollen es Schätzungen zufolge rund 170.000 sein. In Deutschland leben zudem mittlerweile über 2,5 Mio. Kinder, bei denen zumindest ein Elternteil nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Hinzu kommt eine – mir zahlenmäßig nicht bekannte, aber große – Gruppe von Familien, die einen Migrationshintergrund haben, nachdem alle oder einige Familienangehörige in der zweiten oder dritten Generation eingebürgert wurden. In den anderen EU-Staaten zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab.
Ich weiß aus Gesprächen, dass Rechtsanwälte diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen betrachten. Sie wissen natürlich, dass eine Spezialisierung auf dem Gebiet des Internationalen Familienrechts – oder zumindest der Erwerb vertiefter Kenntnisse – große Marktchancen eröffnet. Dessen unbeschadet birgt indes die Bearbeitung grenzüberschreitender familienrechtlicher Fälle zugleich hohe Haftungsrisiken, was ich Ihnen nachfolgend anschaulich machen möchte.
Bei der Vorbereitung meines Vortrags habe ich lange mit mir gekämpft. Ich hätte versuchen können, Ihnen die "Europäisierung des Familienrechts" in Form eines Überblicks über die existierenden Rechtsinstrumente auf diesem Gebiet nahezubringen. Stattdessen habe ich mich dazu entschlossen, nur das Kernproblem des internationalen Familienrechts anzusprechen: das forum shopping. Denn ich enge lieber das Thema auf diese in meinen Augen praktisch gerade für Rechtsanwälte alles überragende Frage ein, als mich der Illusion hinzugeben, Ihnen in einer knappen Stunde einen Überblick über sämtliche Bereiche des internationalen Familienrechts geben zu können, der zumindest den Begriff Schlaglicht oder Streifzug verdient hätte. Die Begrenzung auf die Frage des forum shopping bietet zudem den Vorteil, dass ich dieses unter verschiedenen Blickwinkeln betrachten kann.
forum shopping
Mit forum shopping ist bekanntlich gemeint, dass die schnellere und besser anwaltlich beratene Partei sich über die Wahl des zuständigen Gerichts den Zugang zu dem ihr günstigeren materiellen Recht verschaffen kann. Denn das angerufene Gericht wendet die lex fori an. Zu dieser gehört auch – bei Auslandsbezug eines Falles – das Internationale Privatrecht des Gerichtsstaats. Die Internationalen Privatrechte der Verordnungsmitgliedstaaten sind aber nicht – ein Optimist würde sagen: noch nicht – vereinheitlicht. Daher wird es häufig dazu kommen, dass die Internationalen Privatrechte unterschiedlicher Staaten jeweils auch auf ein unterschiedliches Sachrecht verweisen. Damit gehen oft durchaus beträchtliche Folgen für das rechtliche Ergebnis eines Falles einher.
Dies gilt umso mehr, als der Anwalt angesichts der Zahl und Alternativität der von der Europäischen Union geschaffenen Gerichtsstände erheblichen Gestaltungsspielraum für das Betreiben von forum shopping hat, man könnte provokant geradezu von einer Einladung hierzu sprechen.
Diese Möglichkeit zu nutzen, ist für Anwälte zudem freilich eine Pflicht, andernfalls kann ihr Mandant u.U. Regress bei ihnen nehmen. Es wird von Anwälten zu erwarten sein, dass sie die Normen des Internationalen Privatrechts und die materiellen Familienrechte der in Betracht kommenden Mitgliedstaaten auf die Günstigkeit für ihren Mandanten hin untersuchen, deren Anwendbarkeit im Einzelfall erreicht werden kann. Dabei müssen sie natürlich nicht nur die Ehescheidung, sondern auch die Folgesachen im Auge behalten.
Nehmen Sie folgendes erstes Anschauungsbeispiel: