Eva Becker
Selten hat eine Reform im Familienrecht für so viel Verunsicherung gesorgt wie die Veränderung des Unterhaltsrechts zu Beginn des letzen Jahres. Diese hat nicht nur die betroffenen Mandanten, sondern auch die Familienanwälte erfasst.
Die Frage: "Wer will was von wem woraus?" lässt sich noch beantworten. Aber: "Wie viel?" oder gar: "Wie lange?" nicht mehr. Hieran wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern. Zumindest das ist sicher.
Diese Kalamität sollte man nicht beklagen, ist sie doch auch Folge eines Vorzugs der reformierten Gesetzeslage: Die Betrachtung des Einzelfalls steht im Vordergrund.
Damit scheinen allerdings die beteiligten Berufsstände überfordert. Dies zum einen, weil – sowohl bei den Gerichten als auch bei den Familienanwälten – die Zeit fehlt, in jedem Einzelfall zu recherchieren, welche Einstellungschancen bspw. die heute scheidungswillige Hausfrau als Lehramtsanwärterin im Jahre 1975 in Rheinland-Pfalz bei einem Notendurchschnitt von 2,5 gehabt hätte, um den ehebedingten Nachteil bemessen zu können. Zum anderen fehlt es aber nach wie vor auch an einem gesellschaftlichen Konsens darüber, was Eigenverantwortung gegenüber Solidarität im familienrechtlichen Kontext und dort speziell im Einzelfall bedeutet. Regelmäßig gehen die Vorstellungen hierüber bereits zwischen den betroffenen Eheleuten weit auseinander. Familienanwälte und Richter können dem beliebig viele anderslautende Auffassungen hinzufügen; und das nicht nur aus rechtlichen, sondern stattdessen auch und insbesondere aus kulturellen, religiösen und solchen Gründen, die in der Sozialisation des Einzelnen ihren Ursprung haben.
Es scheint notwendig, einen gesellschaftlichen Diskurs zu führen, der zur Entwicklung und Strukturierung des Unterhaltsrechts beitragen kann.
Eine solche Auseinandersetzung wird, solange Berufseinstiegseminare nach der Familienphase sich regelmäßig an Frauen richten und überschrieben sind mit "Working Mom – Erfolgreich zurück in den Beruf", womöglich Fragen aufwerfen wie:
- Ist es fair, Eigenverantwortung und eine Erwerbsobliegenheit zu postulieren, für die die Rahmenbedingungen wie familienverträgliche Arbeitsplätze und Kinderbetreuung nicht gegeben sind?
- Zeugt es von Empathie, die auferlegte Eigenverantwortung statt als Schlechterstellung als Chance zur Rückkehr aus der Abhängigkeit in den Arbeitsprozess zu begreifen? Definiert die Unterhaltsrechtsreform die Geschlechterrollen neu oder vollzieht sie einen gesellschaftlichen Wandel nach?
- Ist davon auszugehen, dass die Reduzierung der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung die Freigiebigkeit in der Weise befördert, dass der geringere Anspruch durch Generosität z.T. kompensiert werden wird?
- Ist es realistisch anzunehmen, dass künftige Hausfrauen sich durch einen Ehevertrag absichern können und werden? Und wie verträgt sich diese Sichtweise mit der Fürsorge für den Schutzbedürftigen, die auch der BGH im Familienrecht im Rahmen seiner Rechtsprechung zur Wirksamkeit von Eheverträgen herausgestellt hat?
- Ist die nacheheliche Solidarität schon immer eine Fiktion gewesen, die die Perspektive des Verpflichteten für einen familiären Neuanfang über Gebühr eingeschränkt hat?und
- Ist das Unterhaltsrecht die richtige Materie, um einen gesellschaftlichen Prozess zu befördern oder sollte Recht einen solchen eher nachvollziehen?
Der Diskurs ist notwendig und wir wollen ihn gerne mit Ihnen gemeinsam führen.
Eva Becker, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht, Berlin