a) Ausgangssituation
Ehefrau 42 Jahre, Betriebswirtin, teilweise im Betrieb beschäftigt
Ehemann 52 Jahre, Ingenieur mit eigenem Betrieb
Kinder: 10 Jahre männlich, 6 Jahre männlich, 5 Jahre männlich
Die Eheleute lebten im gemeinsamen Hausanwesen, die Ehefrau möchte sich trennen und mit den drei Kindern ausziehen. Die Parteien leben in weit überdurchschnittlich guten wirtschaftlichen Verhältnissen. Es gibt wechselweise unterschiedliche Beteiligungen an den diversen Firmen der Parteien.
b) Mediation
In der ersten Sitzung wurden mit den Parteien das Konzept des Mediationsverfahrens und die erforderliche anwaltliche Beratung am Ende des Verfahrens besprochen. Der Ehemann lehnte in diesem Erstgespräch eine anwaltliche Beratung zum Ende der Mediation vor Abschluss der Vereinbarung ab, da er ein eskalierendes Szenario befürchtete. Die Ehefrau vertrat zunächst auch die Auffassung des Ehemannes und wollte ihrerseits auf eine anwaltliche Beratung nach Erarbeiten des Vereinbarungskonzeptes verzichten.
In einem solchen Fall ist dringend erforderlich, intensiv die Notwendigkeit der anwaltlichen Beratung zu besprechen. Nachdem detailliert vom Mediator erläutert worden war, warum eine anwaltliche Beratung erforderlich ist, setzte eine wesentliche Veränderung bei der Ehefrau ein. Sie konnte ihr Emanzipationsbedürfnis mobilisieren und erkannte, dass die juristische Beratung ein Teil ihrer Selbstbehauptung ist. Es wurde ihr nicht nur die Wichtigkeit einer anwaltlichen Beratung bewusst, sondern auch, dass die anwaltliche Beratung zur Herstellung des Machtgleichgewichts zwischen den Parteien notwendig ist.
c) Anwaltliche Beratung
Die Ehefrau hat sich nach der nicht fortgeführten Mediation anwaltlich beraten lassen.
d) Einschätzung
Wenn die Medianten eine anwaltliche Beratung ablehnen, kann dies verschiedene Ursachen haben. Einmal kann dies mit einer Negativvorstellung über die Anwaltschaft zusammenhängen, weil die Medianten die Kosten eines Anwalts scheuen oder weil sie eine Eskalation (Streit schüren durch den Anwalt) befürchten oder weil sie andere negative Erfahrungen mit dem Berufsstand gemacht haben. Hier ist es Aufgabe des Mediators, auf die Befürchtungen einzugehen. Denkbar ist z.B., dass der Mediator eine Liste mit Anwälten bereit hält, die "keinen Streit schüren" oder Anwälte benennt, die sich mit Mediationsverfahren auskennen und mit klaren Gebührensätzen, z.B. Stundenlohn, arbeiten etc.
Andererseits können aber Gründe in den Parteien selber liegen. So kann es sein, dass eine Partei keine vollständige Klarheit über die rechtliche Situation herstellen möchte. Wenn der Mediator die Hypothese hat, dass eine "unklare" Lösung von einer Partei gewünscht wird, dann spricht dies für ein erhebliches Machtungleichgewicht zwischen den Medianten, dem er sich entgegenstellen muss. Denkbar ist aber auch, dass die Medianten die Auffassung vertreten, die rechtliche Beratung würde zugleich "mitgeliefert". Zwar ist heftig umstritten, wieviel "Recht" in der Mediation Platz haben soll, Einigkeit besteht aber darüber, dass eine rechtliche Beratung keinesfalls erfolgen darf. Der anwaltliche Mediator ist hier besonders gefordert, denn von ihm wird erfahrungsgemäß auch "die anwaltliche Beratung" eingefordert. Es obliegt ihm, den Unterschied zwischen einseitiger Beratung und rechtlicher Information deutlich zu machen. Der nichtanwaltliche Mediator ist mit Rücksicht auf das Rechtsdienstleistungsgesetz gehindert, eine rechtliche Information vorzunehmen. Er ist deswegen verpflichtet, hier keinen falschen Eindruck zu vermitteln.
Aufgabe des Mediators ist es, bei Bedenken zu diesem Punkt mediationsmäßig eine Lösung zu erarbeiten. Da das Mediationsverfahren als solches aber nicht zur Verhandlung ansteht, kann es nicht so aussehen, dass die anwaltliche Beratung entfällt. Notfalls muss wie im vorliegenden Fall eine Mediation unterbleiben.
e) Thesen
aa) Für den Mediator
These 1:
Es ist wichtig, scharf zwischen Mediation und anwaltlicher Beratung zu trennen, um Rollenklarheit zu behalten.
These 2:
Der Mediator gefährdet seine Neutralität, wenn er sich aus der Mediatorenrolle in den Bereich der anwaltlichen Tätigkeit begibt.
bb) Für die Medianten
These 1:
Die anwaltliche Beratung ist zur Informiertheit der Medianten erforderlich.
These 2:
Die anwaltliche Beratung verhindert ein Machtungleichgewicht zwischen den Parteien.
These 3:
Die anwaltliche Beratung ist Teil der Selbstbehauptung der Medianten