a) Ausgangssituation
Ehefrau 43 Jahre, Erzieherin
Ehemann 42 Jahre, Fahrzeugbauer, Angestellter im Außendienst
Kind: 12 Jahre weiblich
Kind aus erster Ehe der Ehefrau: 25 Jahre, weiblich
Die Eheleute lebten bereits seit längerem getrennt. Der Ehemann ist mit der gemeinsamen Tochter im Hausanwesen verblieben, das z.T. auch seinen Eltern gehört. Das Grundstück gehört zu ¼ jedem Ehepartner und zu ½ den Eltern des Ehemannes. Das Haus ist Wohnungseigentum. Eine Wohnung bewohnen die Eltern des Ehemannes. Die Wohnung der Eltern wurde auch teilweise von dem Ehepaar finanziert. Die Eltern waren nicht finanzstark. Die finanziellen "Flüsse" waren außerdem nicht mehr nachzuvollziehen.
b) Mediation
In der Mediation sollte für die verwickelten finanziellen Verstrickungen eine Lösung erarbeitet werden. Dazu haben die Parteien in der Mediation den Wert des Hausanwesens einvernehmlich regeln können. Die Einordnung eines vorehelichen Notarvertrages, der eine Zahlungsverpflichtung der Ehefrau und eine Rückübertragungsverpflichtung des Hausanteils bei Ehescheidung vorsah, hätte bei juristischer Betrachtung für den Ehemann ein kaum akzeptables Ergebnis bedeutet, da die Auszahlungsverpflichtung auf Seiten der Ehefrau zu einer Zugewinnsteigerung geführt hätte, die für den Ehemann nicht leistbar war. Da das Hausanwesen aber keiner Veräußerung zugeführt werden sollte, wurde von den Medianten die Auszahlungsverpflichtung nicht in das Endvermögen eingestellt, anders als dies eine juristische Lösung vorgesehen hätte. Auf dieser Basis wurde zunächst ein Vereinbarungskonzept erarbeitet.
c) Anwaltliche Beratung
Die Ehepartner hatten in ihren Fairnesskriterien die juristische Regelung als Gerechtigkeitsmaßstab benannt. Die Ehefrau hat durch die anwaltliche Beratung erfahren, dass die juristische Lösung für sie günstiger ist. Der Mediator hat bereits in der Mediation darauf hingewiesen, dass die juristische Lösung anders aussieht. Vor der abschließenden Vereinbarung wurde eine Rechtsberatung in Anspruch genommen. Die anwaltliche Beratung hat dann auch eine wirtschaftlich andere Lösung erbracht als die Parteien sie erarbeitet hatten. Damit stand die rechtliche Bewertung als Fairnesskriterium im Spannungsfeld zu dem Fairnesskriterium, das Haus solle nicht verkauft werden.
d) Fortgang der Mediation
In der Mediation wurde das Ergebnis der anwaltlichen Beratung besprochen und die Parteien konnten sich auf andere Auszahlungsbeträge einigen. Um die Immobilie nicht veräußern zu müssen, wurde der Betrag von der Ehefrau teilweise erlassen und es konnten Zahlungsmodalitäten gefunden werden, die für den Ehemann leistbar waren; es erfolgte die Verrechnung mit Unterhaltsfreistellungen für das Kind.
e) Thesen
aa) Für den Mediator
These 8:
Die juristische Beurteilung eines Sachverhaltes im Rahmen der Fairnessüberlegungen kann zu neuen Impulsen führen.
These 9:
Der juristische Mediator sollte, wenn die Parteien eine Lösung erarbeiten, die juristisch anders zu beurteilen ist, hierauf hinweisen, damit die Medianten bei der späteren anwaltlichen Beratung nicht erstaunt sind und der Mediator nicht als "unwissend" oder "unfähig" dasteht.
bb) Für die Medianten
These 9:
Die rechtliche Einschätzung kann berechtigtes Fairnesskriterium sein, das neben anderen Kriterien Platz hat.
These 10:
Die Verdeutlichung eines freiwilligen Verzichts durch Aufzeigen juristischer Ansprüche kann den Raum schaffen, "etwas" mit Dank anzunehmen, ohne dass ein bitterer Nachgeschmack bleibt.
These 11:
Die Medianten sind in ihrer Entscheidung frei, wenn sie zwischen verschiedenen Möglichkeiten wählen können, und nicht gezwungen, die rechtliche Lösung als verbindlich anzunehmen.