BGB § 1906; FamFG §§ 29 f., 321 Abs. 1, 323 Nr. 2 , 329 Abs. 2 Satz 2
a) Auch der behandelnde Arzt des Betroffenen kann im Unterbringungsverfahren gem. § 321 Abs. 1 FamFG zum Sachverständigen bestellt werden, solange es sich nicht um Unterbringungen mit einer Gesamtdauer von mehr als vier Jahren handelt, § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG.
b) Der Verwertung eines Sachverständigengutachtens des behandelnden Arztes steht nicht entgegen, dass der Betroffene ihn nicht von seiner Verschwiegenheitspflicht entbunden hat.
c) Ist der Sachverständige nicht Arzt für Psychiatrie, muss das Gericht prüfen und in der Entscheidung darlegen, ob er als Arzt über Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie i.S.v. § 321 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 2 FamFG verfügt. Ein pauschaler Verweis auf die Selbsteinschätzung des Sachverständigen genügt nicht.
d) Ist der Sachverständige i.S.v. § 321 Abs. 1 Satz 4 FamFG nicht hinreichend qualifiziert, kann das von ihm angefertigte Gutachten nicht verwertet werden.
e) Dem Betroffenen sind vor seiner Untersuchung durch den Sachverständigen dessen Ernennung und der Zweck der Untersuchung bekanntzugeben.
BGH, Beschl. v. 15.9.2010 – XII ZB 383/10 (LG Chemnitz, AG Chemnitz)
Gründe:
I. [1] Der 1972 geborene Betroffene wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen die gerichtliche Genehmigung seiner Unterbringung.
[2] Der Betroffene steht seit Dezember 2006 unter rechtlicher Betreuung. Die Betreuerin, zu deren Aufgabenkreis u.a. die Aufenthaltsbestimmung und Unterbringung gehören, hat mit Schreiben vom 1.6.2010 die Genehmigung zur Unterbringung des Betroffenen beantragt. Das AG hat daraufhin dessen behandelnde Hausärztin, Frau Dr. med. V., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Akupunktur und suchtmedizinische Grundversorgung mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt.
[3] Nach Anhörung des Betroffenen und Bestellung eines Verfahrenspflegers hat das AG – Betreuungsgericht – mit Formularbeschluss vom 17.6.2010 die Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis zum 17.9.2010 genehmigt. Ferner hat es „die zeitweise oder regelmäßige Freiheitsentziehung des Betroffenen durch mechanische Vorrichtungen, nämlich Fixierung der Extremitäten, ( … ) bis zur Entscheidung der Betreuerin genehmigt“. Mit Beschl. v. 21.7.2010 hat das LG nach Anhörung des Betroffenen und der behandelnden Ärztin die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.
II. [4] Die gem. § 70 Abs. 3 Nr. 2 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung.
[5] 1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung auf Eigengefährdung gem. § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB gestützt und sie wie folgt begründet:
[6] Nach den aktuellen gutachterlichen Feststellungen leide der Betroffene an einer psychotisch ausgeweiteten bipolaren Störung. Während ihm unter den geschützten Bedingungen einer geschlossenen Station ein Neuroleptikum/Depot-Neuroleptikum verabreicht werde und dies der Betroffene auch über sich ergehen lasse, sei, so die behandelnde Stationsärztin H., mit Sicherheit davon auszugehen, dass er, sofern er jetzt entlassen würde, die Medikamente nicht mehr einnähme. Die Psychose würde sich wieder verfestigen. Es bestünde im Falle der Entlassung die ernstliche und konkrete Gefahr, dass der Betroffene Fehlhandlungen beginge und sich selbst erheblichen Schaden zufügen könnte. Die Eigengefährdung werde von der Ärztin als relativ groß eingeschätzt.
[7] 2. Die angegriffene Entscheidung des Beschwerdegerichts hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Genehmigung der Unterbringung des Betroffenen ist – was die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt – im Hinblick auf den Sachverständigenbeweis verfahrensfehlerhaft erfolgt. Für die Genehmigung der Fixierung des Betroffenen fehlen die materiellen Voraussetzungen.
[8] a) Der vom AG eingeholte Sachverständigenbeweis genügt den von Gesetzes wegen zu beachtenden Anforderungen an das Verfahren nicht.
[9] aa) Unbedenklich ist allerdings, dass das AG die Sachverständige bestellt hat, obgleich diese den Betroffenen zuvor behandelt hatte. Nach § 329 Abs. 2 Satz 2 FamFG soll das Gericht nur bei Unterbringungen mit einer Gesamtdauer von mehr als vier Jahren keinen Sachverständigen bestellen, der den Betroffenen bisher behandelt hat. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass bei einer kürzeren Unterbringungsdauer der behandelnde Arzt zum Sachverständigen bestellt werden kann (so auch Keidel/Budde, FamFG, 16. Aufl., § 280 Rn 6).
[10] Ob der Auffassung der Rechtsbeschwerde zu folgen ist, wonach ein Arzt, der die Unterbringung angeregt hat, nicht zum Sachverständigen ausgewählt werden dürfe (ebenso Dodegge, in: Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG, 2. Aufl., § 321 Rn 8), kann hier dahinstehen. Denn es ist weder festgestellt noch sonst ersichtlich, auch nicht aus dem von der Rechtsbeschwerde in Bezug genommenen Antrag der Betreuerin vom 1.6.2010, dass die Sachverständige die...