Ausgangslage
Seit Inkrafttreten des neuen Verfahrensrechts (FamFG) am 1.9.2009 werden Urkunden des Jugendamts nach §§ 59, 60 SGB VIII, mit denen ein kostenloser Unterhaltstitel für minderjährige und volljährige Kinder bis 21 Jahren und Unterhalt gemäß § 1615l BGB geschaffen wurde, in einem Verfahren nach § 239 FamFG abgeändert. Solche Urkunden können nicht durch Errichtung einer neuen Urkunde abgeändert werden. Für die vor Ende August 2009 eingeleiteten Abänderungsverfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar. Danach richtete sich die Abänderung einer Jugendamtsurkunde nach §§ 323 Abs. 4, 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO. Die Abänderungsklage war die zulässige Klageart.
Ein Abänderungsverfahren nach § 239 FamFG bzw. § 323 Abs. 4 ZPO ist nur zulässig, wenn die Urkunde einen wirksamen Zwangsvollstreckungstitel darstellt. Dafür ist erforderlich, dass der zu vollstreckende Unterhalt nach seinem Betrag festgelegt ist oder sich die Höhe aus der Urkunde ohne weiteres errechnen lässt. Letzteres ist der Fall, wenn die Berechnung mithilfe offenkundiger, in der Urkunde in Bezug genommener Daten möglich ist.
Die Entscheidung des BGH vom 4.5.2011 befasst sich mit den prozessualen und materiellen Voraussetzungen für die Abänderung zweier einseitig von der Unterhaltspflichtigen errichteter Jugendamtsurkunden aus dem Jahr 2004 für die Zeit ab Februar 2008. Es geht ferner um die Reichweite der gesteigerten Unterhaltspflicht des Schuldners, die Voraussetzungen für die Zurechnung fiktiven Einkommens, die Herabsetzung des angemessenen Selbstbehalts des Pflichtigen und die Ersatzhaftung des betreuenden Elternteils.
Inhalt der Entscheidung
Die im September 1980 geborene Klägerin war von Oktober 1999 bis März 2005 mit dem Vater der Beklagten verheiratet. Schon vor der Ehe waren im Dezember 1996 der Beklagte zu 1 und im September 1998 der Beklagte zu 2 als gemeinsame Kinder geboren worden. Nach der Trennung der Parteien im November 2002 lebten die Kinder bis April 2004 zunächst im Haushalt der Klägerin. Nach Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Vater lebt der Beklagte zu 1 in seinem Haushalt, der schwerbehinderte Beklagte zu 2 in einem Kinderheim. Er hält sich regelmäßig aber auch im Haushalt des Vaters auf, der auch seine weiteren Angelegenheiten regelt.
Die Klägerin, die bei der Geburt des Beklagten zu 1 im Alter von 16 Jahren noch Schülerin gewesen war, holte den Hauptschulabschluss nach und nahm bis März 2003 Erziehungsurlaub. Im Anschluss arbeitete sie in wechselnden Anstellungen teils im Geringverdienerbereich; z.T. war sie arbeitslos und erhielt Arbeitslosengeld. Ab dem 27.1.2009 absolvierte sie eine zweijährige Ausbildung zur Bürokauffrau. Der Vater der Kinder erzielte im Unterhaltszeitraum aus Erwerbstätigkeit Einkünfte, die sich nach Abzug aller unterhaltsrechtlich zu berücksichtigenden Kosten zunächst auf 1.869 EUR, danach auf 1.619 EUR bzw. auf 1.605 EUR, jeweils monatlich, beliefen.
Das Amtsgericht hat die Jugendamtsurkunden, mit denen sich die Klägerin einseitig verpflichtet hatte, unter Berücksichtigung von § 1612b Abs. 5 BGB a.F. 100...