Zunächst möchte ich Ihnen Grüße bestellen:
Von der kleinen Gretel, zwei Jahre, die schon telefonieren kann und mit ihrem Charme den ganzen Senat um den Finger wickelt; von ihrem Bruder Hänsel, fünf Jahre, der in Windeseile komplizierte Puzzles zusammenfügen kann – am liebsten von Dinosauriern – und sehr konzentriert zuhört, wenn man ihm dabei die gefährlichen Angriffswaffen eines Raubsauriers erklärt; von Anton, zehn Jahre, angehender Gymnasiast, der ein Jugendgolfturnier nach dem anderen gewinnt und inzwischen ein besseres Handicap als sein Vater hat; von Pünktchen, zehn Jahre, auch angehende Gymnasiastin, klug und redegewandt, die eine entzückende Brieffreundschaft mit Anton unterhält; von den Zwillingen Schneeweißchen und Rosenrot, dreizehn Jahre, selbstbewussten jungen Damen, bei denen man sich nicht entscheiden kann, welche denn nun die Hübschere ist.
Das sind die Kinder des BGH, die ein in einem Fachaufsatz zwar zitierter, aber nicht genannter Kollege – ein Anonymus also – offenbar schmerzlich vermisst, wenn es um die Anwendung der Grundsätze des Betreuungsunterhalts durch den Senat geht. Damit soll ersichtlich zum Ausdruck gebracht werden, dass der Senat – bar jeder eigenen Lebenserfahrung – Inhalt und Zielrichtung des § 1570 BGB gründlich missdeutet.
Schmerzlich daran ist eigentlich nur, dass solche wenig durchdachten Schlagworte nicht nur Eingang in die Fachliteratur gefunden haben, wo sie glücklicherweise relativiert werden und wegen des Kreises von wissenden Lesern keinen Schaden anrichten können, sondern auch die journalistische Kommentierung in einer Weise beeinflusst haben, die die Betroffenen verunsichert, die zugrunde liegenden Sachverhalte und die Begründung unserer Entscheidungen nicht vollständig wiedergibt und damit der Sache nicht gut tut.
Sehen wir uns den § 1570 alte Fassung und neue Fassung BGB, der kürzlich zu diesem journalistischen Sturm im Wasserglas geführt hat, doch einmal an: Schon die alte Fassung sah einen Unterhalt nur vor, solange und soweit vom geschiedenen Ehegatten wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinsamen Kindes eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden konnte. Bereits dies war eine unbestimmte Regelung, die eine Einzelfallprüfung erforderte. Von einer schematischen Anknüpfung an das Alter des Kindes, wie sie später flächendeckend mit dem so genannten Altersphasen – oder auch 0/8/15-Modell praktiziert wurde, lese ich dort nichts. Gewiss, dieses Altersphasenmodell war eine einfache und bequeme Art der Rechtsanwendung, die weder vom Anspruchsteller noch vom Richter allzu viel an Vortrag oder Begründung erforderte. Man brauchte nur das Alter des Kindes zu nennen und schon wurde die pauschalierende Käseglocke des Altersphasenmodells dem Fall übergestülpt, ungeachtet dessen, dass die Verhältnisse im konkreten Einzelfall unter Umständen ganz anders geartet waren und eine solche Schematisierung eben nicht rechtfertigten. Aber der Weg zur Hölle ist bekanntlich breit und bequem gepflastert, und was tat es schon, wenn ein paar Fälle eben nicht entsprechend ihren individuellen Verhältnissen angemessen und damit auch gerecht gelöst wurden, wenn es nur für die breite Masse der Fälle einigermaßen passte.
Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Gleichbehandlung der nichtehelichen und ehelichen Kinder erforderte allerdings ein Umdenken hinsichtlich der unterschiedlich geregelten Dauer von Unterhaltsansprüchen für die Kindesbetreuung in § 1570 und § 1615l BGB. Indem der Gesetzgeber Inhalt und Wortlaut des § 1570 BGB änderte, verwarf er zugleich auch die eingerissene Rechtspraxis. Nunmehr hat er als klare Untergrenze einen Basisunterhalt von drei Jahren festgelegt, der aber im Rahmen einer einzelfallbezogenen Billigkeitsabwägung auf Antrag verlängert werden kann. Dabei sind zum einen die konkreten Belange des Kindes und die bestehenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung zu berücksichtigen, zum anderen auch die so genannten elternbezogenen Gründe des § 1570 Abs. 2, die die jeweiligen Belange des betreuenden Elternteils schützen. Jedem Schematismus hat er damit eine klare Absage erteilt.
Und was ist eigentlich schlecht daran, wenn man bei dieser Abwägung der gegenläufigen Interessen der streitenden Parteien und der Belange des Kindes jedem substanziierten Vortrag nachgehen und die individuellen Verhältnisse der Beteiligten prüfen und berücksichtigen muss? Dies ist nämlich nicht mehr und nicht weniger, als jede Partei als einzelnes Rechtssubjekt im Rahmen ihres grundgesetzlich gewährten Rechtsanspruchs auf rechtliches Gehör erwarten kann: Dass man ihre dargelegte konkrete Lebenssituation und die Gesamtumstände ihres Falles würdigt. Das ist eine Aufgabe, der Anwälte und Richter in gleicher Weise unterliegen: Wir sollen hören, denn taub ist Justitia bekanntlich nicht. Nichts anderes fordert der Senat mit seinen Entscheidungen ein: Dass die Parteien mit ihrem Vortrag in rechter Weise gehört, statt wiederum pauschalierend über einen Leisten gespannt werden.
Sie werden allerdings meine...