BGB § 675, § 611, § 276, § 280, § 249; ZPO § 769 Abs. 3; SGB XII § 43 Abs. 2 S. 2
Leitsatz
1. Soweit der Mandant nicht eindeutig zu erkennen gibt, dass er des Rates nur in einer bestimmten Richtung bedarf, ist der Rechtsanwalt zu einer allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Beratung des Auftraggebers verpflichtet. Der Rechtsanwalt handelt pflichtwidrig, wenn er in einer Kindesunterhaltssache den Mandanten und die Gegenseite nicht darauf hinweist, dass sein Sohn mit der bevorstehenden Vollendung des 18. Lebensjahres einen Anspruch auf Grundsicherung hat, und es unterlässt, die gegen den Sohn erhobene Abänderungsklage auf diesen Gesichtspunkt zu stützen.
2. Leistungen der Grundsicherung sind unter den Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 S. 1 SGB XII auf den Unterhaltsbedarf eines Leistungsempfängers anzurechnen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, sind Grundsicherungsleistungen nicht nachrangig. Sie sind daher als Einkommen anzusehen und reduzieren den unterhaltsrechtlichen Bedarf des Leistungsempfängers, ohne dass es darauf ankommt, ob sie zu Recht oder zu Unrecht bewilligt worden sind (vgl. BGH, Urt. v. 20.12.2006 – XII ZR 84/04, FamRZ 2007, 1158).
3. Die Feststellung, ob infolge der Pflichtverletzung des Anwalts ein Schaden entstanden ist, gehört zur entscheidenden haftungsausfüllenden Kausalität. Der Beweis ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH unter Heranziehung des § 287 Abs. 1 ZPO vom Mandanten zu führen. Wenn diese Frage vom Ausgang eines anderen Verfahrens abhängt, muss das Gericht selbst prüfen, wie jenes Verfahren bei pflichtgemäßem Verhalten des Anwalts richtigerweise zu entscheiden gewesen wäre. Dabei ist der Sachverhalt zugrunde zu legen, der auch dem Ausgangsgericht zur Entscheidung vorgelegt worden wäre (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.7.2009 – I-24 U 49/08, FamRZ 2010, 392).
OLG Düsseldorf, Urt. v. 31.1.2012 – 24 U 39/11 (LG Wuppertal)
1 Aus den Gründen:
I. Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Dem Kläger steht entgegen der Auffassung des Landgerichts ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 12.765,00 EUR gegen die Beklagte aus anwaltlicher Pflichtverletzung zu. Denn der Beklagten ist eine schuldhafte Verletzung ihrer Pflichten aus dem mit dem Kläger geschlossenen Anwaltsdienstvertrag anzulasten. Keinen Erfolg hat die Klage lediglich, soweit der Kläger mit dieser auch einen Betrag in Höhe von 1.925,13 EUR für aufgelaufene Zinsen begehrt.
II. Der Beurteilung des LG, die beklagte Rechtsanwältin habe die unterhaltsrechtliche Angelegenheit des Klägers fehlerfrei bearbeitet, folgt der Senat nicht. Das Gegenteil ist richtig, so dass die Beklagte wegen der schuldhaften Verletzung der sie treffenden Pflichten aus dem Anwaltsvertrag dem Kläger auf Schadensersatz haftet, §§ 675, 611, 276, 280, 249 ff. BGB.
1. Die Beklagte hat ihre Pflichten aus dem Mandatsverhältnis mit dem Kläger in objektiver Hinsicht verletzt. Denn sie hat den Kläger pflichtwidrig nicht darauf hingewiesen, dass sein Sohn mit der Vollendung des 18. Lebensjahres einen Anspruch auf Grundsicherung hat, und es pflichtwidrig unterlassen, die gegen den Sohn erhobene Abänderungsklage auf diesen Gesichtspunkt zu stützen.
a) Grundsätzlich ist der Rechtsanwalt aufgrund des Anwaltsvertrages in den Grenzen des ihm erteilten Mandats (BGH MDR 1998, 1378; MDR 1996, 2648 f.; vgl. auch BGH NJW 2009, 1141; Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung, 2. Aufl., Rn 482 m.w.N.) verpflichtet, die Interessen seines Mandanten nach jeder Richtung und umfassend wahrzunehmen und Schädigungen seines Auftraggebers, mag deren Möglichkeit auch nur von einem Rechtskundigen vorausgesehen werden können, zu vermeiden. Soweit der Mandant nicht eindeutig zu erkennen gibt, dass er des Rates nur in einer bestimmten Richtung bedarf, ist der Rechtsanwalt zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung des Auftraggebers verpflichtet. In den Grenzen des Mandats hat er dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziel zu führen geeignet sind, und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat er dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist (BGH WM 1993, 1376; WM 2007, 419; NJW 2007, 2485; WM 2008, 1560; NJW 2009, 2949).
b) Auftrag der Beklagten war es hier, eine Abänderung der Kindesunterhaltsverpflichtung des Klägers gegenüber seinem am 12.7.1988 geborenen Sohn zu erreichen. Wie die Beklagte selbst vorträgt, beauftragte sie der Kläger, nachdem dieser im August 2005 im Wege seiner beruflichen Neuorientierung in den Vorbereitungsdienst für das Lehramt eingetreten war und Aussicht auf einen Verdienst von lediglich knapp 1.000 EUR brutto hatte, auch mit der Abänderung seiner Kindesunterhaltsverpflichtung. Dementsprechend erweiterte die Beklagte die vor dem AG Korbach (7 F 125/05 UE) zunächst allein gegen die geschiedene Ehefrau des Klägers erhobene A...