Es ist kaum zu glauben, aber ich weiß es sehr genau, denn ich bin drei Jahre jünger und uns verbindet eine lange Freundschaft.
Nach dem 1. Juristischen Staatsexamen in Freiburg 1955 legte Lore-Maria Peschel-Gutzeit ihre 2. Staatsprüfung am 12. Mai 1959 in Hamburg ab. Es war der Tag meines 1. Staatsexamens.
Vor dem Prüfungssaal versuchte ich verzweifelt, meine Aufregung zu unterdrücken. Ich hielt mir eine Zeitung vor das Gesicht und tat so, als ob ich darin las. Plötzlich stieß mich eine bis dahin unbekannte Kollegin an, nahm mich in den Arm und stellte lakonisch fest: "Sie halten die Zeitung verkehrt herum. Sie haben bestimmt bestanden." Sie hatte recht, so wie Lore-Maria Peschel-Gutzeit eigentlich immer recht hatte.
Als Beisitzerin der Pressekammer des Landgerichts Hamburg machte sie mir dieses als Anwältin des Axel Springer Verlages sehr deutlich. Als einmal die Kollegin Gisela Wild und ich uns vor Gericht heftig stritten und von der Richterin Peschel-Gutzeit hart angegangen wurden, konnte der Vorsitzende nur verzweifelt ausrufen: "Aber meine Damen, meine Damen." Das war zu viel für die damals noch stark männlich geprägte Welt in einem Gerichtssaal.
Schon als Studentin war Lore-Maria Peschel-Gutzeit in den Deutschen Juristinnenbund eingetreten. Wen hätte es verwundert, wenn es ihr nicht gelungen wäre Gisela Wild und mich alsbald zum Beitritt zu bewegen. Von 1977 bis 1981 war Lore-Maria Peschel-Gutzeit 1. Vorsitzende des Deutschen Juristinnenbundes. Gisela Wild und ich wurden auch in den Vorstand gewählt und ich übernahm den Vorsitzenden-Stab 1983.
Während meiner Amtszeit als 1. Vorsitzende gab es einige wichtige familienrechtliche Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, an denen Lore-Maria Peschel-Gutzeit als Vorsitzende der Familienrechtskommission des Deutschen Juristinnenbundes und ich teilnahmen. Die Redezeit war begrenzt. Dennoch gestattete der Vorsitzende des 1. Senats, Prof. Roman Herzog, Lore-Maria Peschel-Gutzeit ihre Rechtsauffassung ausführlich darzustellen. Es war so beeindruckend, dass die "Mitglieder des 3. Senats", die Hilfsrichter und Hilfsrichterinnen, sowie die Journalisten in der Mittagspause applaudierten, als wir in das nahe gelegene Lokal kamen. Der Applaus galt Lore-Maria Peschel-Gutzeit!
Endlich kamen auch die beruflichen Erfolge: 1984 wurde Lore-Maria Peschel-Gutzeit als erste Frau zur Vorsitzenden eines Senats am Hanseatischen Oberlandesgericht gewählt. Schon seit 1972 war sie Familienrichterin am Hanseatischen Oberlandesgericht. Nun durfte sie den Familienrechtssenat leiten. Es war nicht einfach, diese Wahl zu erreichen, denn es gab noch eine zweite qualifizierte Frau und andere zu besetzende Vorsitzendenpositionen. Aber zwei Frauen zu Vorsitzenden zu ernennen, das ging der Männerwelt denn doch zu weit. So wurde aus einer Premiere im Hamburger Thalia Theater "Kabale und Peschel"! Es gelang der damaligen Hamburger Justizsenatorin Leutheusser und Premierenbesuchern, anwesende Mitglieder des Richterwahlausschusses umzustimmen und zu erreichen, dass beide Frauen gewählt wurden.
Und dann kam die Politik: 1991 wurde Lore-Maria Peschel-Gutzeit von dem damaligen 1. Bürgermeister Henning Voscherau als Justizsenatorin in den Senat der Freien und Hansestadt Hamburg berufen. Nachdem die SPD 1993 bei der Hamburger Bürgerschaftswahl die absolute Mehrheit verloren hatte, kam es zu einer Koalition mit der STATT Partei und alle Versuche vieler Frauen, zu erreichen, dass diese Partei Lore-Maria Peschel-Gutzeit im Senat belässt, waren vergeblich. So schied sie 1993 aus dem Hamburger Senat aus. Stattdessen berief der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin Eberhard Diepgen (CDU) 1994 Lore-Maria Peschel-Gutzeit als Nachfolgerin von Jutta Limbach in den Berliner Senat. Auch dort übernahm sie das Justizressort. 1997 kehrte Lore-Maria Peschel-Gutzeit nach Hamburg als Justizsenatorin zurück. In einer Koalition mit Bündnis 90/Die Grünen hatte der 1. Bürgermeister Ortwin Runde sie zurückgeholt. 2001 war dann diese Zeit durch Verlust der Regierungsmehrheit beendet. Wer nun gedacht hatte, dass Lore-Maria Peschel-Gutzeit mit fast 70 Jahren in den wohlverdienten Ruhestand gehen würde, der sah sich getäuscht. Sie wechselte in die Anwaltschaft, trat in eine renommierte Anwaltskanzlei ein. Hatte sie einst als eine der jüngsten Rechtsanwältinnen in Freiburg begonnen, so schickt sie sich nun an, eine der ältesten aktiven Anwältinnen Deutschlands zu werden. Fachgebiet: natürlich Familienrecht!
Angesprochen, wie lange sie noch als Anwältin tätig sein möchte, antwortet sie voller Überzeugung: "Ich habe doch erst so spät wieder angefangen. Es bleibt doch noch so viel für die Frauen zu tun." Als ob sie nicht schon genug für die Frauen getan hätte!
1968 trat das von ihr initiierte Gesetz, wonach Beamtinnen aus familiären Gründen in Teilzeit oder in Familienurlaub gehen können, in Kraft. Diese "Lex Peschel" hat es unendlich vielen Frauen ermöglicht, ihren Beruf weiter auszuüben. Schon allein dafür hätte sie das Bundesver...