BGB § 1601, § 1603 Abs. 1; SGB XII § 94 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1. Wird der Unterhaltspflichtige von seinem erwachsenen Kind, das seine bereits erlangte wirtschaftliche Selbstständigkeit wieder verloren hat, auf Unterhalt in Anspruch genommen, ist es nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter ihm und seiner Ehefrau im Regelfall einen Familienselbstbehalt zubilligt, wie ihn die Düsseldorfer Tabelle und die Unterhaltsrechtlichen Leitlinien für den Elternunterhalt vorsehen (im Anschluss an Senatsurt. v. 18.1.2012 – XII ZR 15/10, FamRZ 2012, 530). (Rn 16)
2. Der Familienselbstbehalt trägt bereits dem Umstand Rechnung, dass die Ehegatten durch ihr Zusammenleben Haushaltsersparnisse erzielen (im Anschluss an Senatsurt. BGH v. 28.7.2010 – XII ZR 140/07, BGHZ 186, 350 = FamRZ 2010, 1535). (Rn 18)
BGH, Beschl. v. 18.7.2012 – XII ZR 91/10 (OLG Köln, AG Leverkusen)
1 Tatbestand:
[1] Der Kläger begehrt von dem Beklagten rückständigen Volljährigenunterhalt aus übergegangenem Recht.
[2] Der Kläger erbrachte für den 1969 geborenen Sohn des Beklagten, der wegen Depressionen und einer Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig ist, u.a. in der Zeit von April 2007 bis März 2009 Sozialhilfe in Form von Hilfe zum Lebensunterhalt von über 850 EUR monatlich. Der Beklagte ist Rentner und bezieht ein monatliches Nettoeinkommen von rund 1.603 EUR. Die Ehefrau des Beklagten erzielt ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von rund 485 EUR. Die Eheleute bewohnen zusammen eine Eigentumswohnung, für die Finanzierungs- und laufende Kosten zu zahlen sind.
[3] Das Amtsgericht hat den Beklagten verurteilt, an den Kläger für die Zeit von April 2007 bis März 2009 monatlich 70 EUR zu zahlen, insgesamt also 1.680 EUR. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.
2 Aus den Gründen:
[4] Die Revision ist unbegründet.
I. [5] Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass dem Sohn des Beklagten in dem streitgegenständlichen Zeitraum kein Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten zugestanden habe, so dass ein solcher auch nicht auf den Kläger habe übergehen können. Der Beklagte sei leistungsunfähig. Dem Grunde nach stehe einem unterhaltspflichtigen Elternteil, der schon Rente beziehe, gegenüber Kindern, die bereits einmal eine eigene Lebensstellung erlangt hätten, ein Selbstbehalt von 1.400 EUR zu. Das Einkommen des Beklagten übersteige diesen Betrag nicht.
[6] Befinde sich der Unterhaltspflichtige seit mehreren Jahren im Rentenalter, habe das Kind regelmäßig eine eigene Lebensstellung erlangt, leite seine Lebensstellung also nicht mehr – wie das seine Ausbildung betreibende Kind – von der des Pflichtigen ab. Das Kind befinde sich in der Regel selbst bereits in einem höheren Lebensalter, so dass der Unterhaltspflichtige seine Lebensverhältnisse längerfristig seinem Einkommensniveau angepasst habe. Da er nicht mehr im Arbeitsleben stehe, könne er die Inanspruchnahme auf Unterhalt auch nicht durch zusätzliche Erwerbstätigkeit ausgleichen. Von daher sei es gerechtfertigt, den allgemeinen, gegenüber volljährigen Kindern geltenden Selbstbehalt angemessen zu erhöhen, wobei der für den Elternunterhalt geltende Betrag insoweit als angemessen erscheine. Dem stehe nicht entgegen, dass nach der sozialhilferechtlichen Regelung des § 94 Abs. 2 S. 2, 1. Hs. SGB XII eine Vermutung dafür bestehe, dass der Anspruch in Höhe der in § 94 Abs. 2 S. 1 SGB XII genannten Beträge übergehe und mehrere Unterhaltspflichtige zu gleichen Teilen hafteten. Aufgrund der dargelegten konkreten Umstände sei diese Vermutung im vorliegenden Fall widerlegt, so dass dahinstehen könne, ob der Sohn des Beklagten überhaupt i.S.v. § 53 SGB XII behindert sei.
II. [7] Diese Ausführungen halten im Ergebnis rechtlicher Überprüfung stand.
[8] 1. Entgegen der Auffassung der Revision war die Berufung zulässig. Zutreffend weist die Revisionserwiderung darauf hin, dass die Berufung den in § 520 Abs. 3 S. 2 ZPO aufgestellten Anforderungen entspricht.
[9] Von einer Berufungsbegründung ist namentlich zu verlangen, dass sie auf den zur Entscheidung stehenden Streitfall zugeschnitten ist und erkennen lässt, aus welchen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen das angefochtene Urteil unrichtig sei (Zöller/Heßler, ZPO, 29. Aufl., § 520 Rn 35 m.w.N.). Dabei ist die Schlüssigkeit der Begründung keine Zulässigkeitsvoraussetzung (Zöller/Heßler, a.a.O., Rn 34 m.w.N.).
[10] Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Beklagte hat in seiner Berufung im Einzelnen begründet, warum seiner Auffassung nach etwaige Unterhaltsansprüche verwirkt seien. Damit hat die Berufung eine tragende Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung angegriffen, die nur von einer teilweisen Verwirkung ausgegangen war, und demgemäß den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO Rechnung getragen.
[11] 2. Ebensowenig ist revisionsrechtlich zu beanstanden, dass das Berufungsgericht einen Unterhaltsanspruch nach § 1601 BGB verneint hat.
[12] a) Nach § 94 Abs. 1 S. 1 SGB XII ge...