Zu einem deutlichen Umschwung kam es erst durch eine Kehrtwendung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung: Der Grundstein hierfür wurde mit einem Urteil vom 12. April 2006 gelegt, in dem der Bundesgerichtshof judizierte, dass allein die zeitliche Dauer der Ehe nicht mehr als Merkmal anzusehen sei, welches zwingend für oder gegen eine Begrenzung des Unterhaltsanspruchs in das Feld geführt werden könne. Die Ehedauer sei vielmehr lediglich als ein Indiz zu begreifen, welches zusammen mit Gesichtspunkten wie Kinderbetreuung oder Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit während der Ehe sowie weiteren, nicht benannten Aspekten vom Tatrichter bei der Prüfung einer Unterhaltsbegrenzung unter- und gegeneinander abzuwägen sei.
Diese neue, auf den ersten Blick keinesfalls revolutionär anmutende, sondern eher auf eine Vorwegnahme der seinerzeit erst diskutierten Neuregelung hindeutende Rechtsprechung, die nach und nach ausgebaut und von den Instanzgerichten übernommen wurde, führte im praktischen Ergebnis zu einer deutlichen Gewichtsverschiebung: Während der Schwerpunkt der bisherigen Rechtsprechung noch eindeutig bei dem zeitlichen Aspekt lag, der ab einem gewissen Zeitpunkt dem Unterhaltsberechtigten eine absolute, ihm praktisch kaum noch zu nehmende Sicherheit in Bezug auf den Bestand seines Unterhaltsanspruchs vermittelte, kam es nunmehr primär auf den ehebedingten Nachteil an, der durch eine länger währende Ehedauer zwar indiziert war, aber durch Gegenargumente auch wieder relativiert werden konnte.
Die Konsequenzen der Kehrtwende in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die in den ersten Diskussionsveranstaltungen zum neuen Unterhaltsrecht durchaus kritisch herausgestrichen wurden, zeigten sich alsbald in der Praxis. Das vom Reformgesetzgeber ursprünglich intendierte Konzept, den zu erwartenden Streit, ob und inwieweit der nacheheliche Unterhaltsanspruch zu begrenzen sei, mit zunehmender zeitlicher Dauer der Ehe immer mehr in den Hintergrund zu drängen, konnte nicht mehr uneingeschränkt zur Entfaltung kommen. Als besonders kritisch erwiesen sich insbesondere Konstellationen, in denen ursprünglich unstreitig vorhandene ehebedingte Nachteile – beispielsweise durch eine Kinderbetreuung – im weiteren Zeitablauf entweder nicht mehr oder nicht mehr in dieser Form vorhanden waren bzw. in denen ein eventuelles Fortwirken früher möglicherweise bestehender Nachteile praktisch jedenfalls kaum noch mit dem erforderlichen Maß an Gewissheit dargelegt werden konnte. Davon betroffen waren zumeist "Altehen" und eher traditionell geführte Ehen, bei denen zwar die aus ihnen hervorgegangenen Kinder schon längst erwachsen und das Elternhaus verlassen hatten, der unterhaltsbegehrende Ehegatte aber kaum noch beweisen konnte, dass bzw. inwieweit sich damalige Nachteile aktuell immer noch in der (Erwerbs-, Sozial-) Biographie niederschlagen. Der hieraus resultierende, zumeist auf vage Hypothesen hinauslaufende Vortrag des Unterhaltsberechtigten, wie sich der eigene Lebenslauf ohne die Ehe bzw. ohne die Kinderbetreuung dargestellt hätte, erwies sich als äußerst schwierig, höchst zweifelhaft und damit selten erfolgreich und entwickelte sich für alle Beteiligten letztlich zu einer kaum noch zielführenden Belastung des Unterhaltsverfahrens.