Im familiengerichtlichen Verfahren hat jeder Beteiligte nach deutschem Recht einen Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz. Dieser Justizgewährungsanspruch gebietet, dass streitige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG. Mit zunehmender Verfahrensdauer verdichtet sich die Verpflichtung des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen. Die Gerichte müssen daher – wie der BGH betont – anhängige Verfahren mit der gebotenen Beschleunigung bearbeiten und bei Entscheidungsreife möglichst zeitnah abschließen. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Anspruch auf Justizgewährung beinhaltet insoweit das Recht auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist. Dieses Postulat ist von großer Bedeutung, weil anderenfalls Tatsachen geschaffen werden, die später nicht ohne Weiteres rückgängig zu machen sind.
Gleiches folgt im Übrigen auch aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, der folgenden Inhalt hat:
Zitat
"Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird."
Diese Norm stellt klar, dass das Gericht in angemessener Zeit nicht nur verhandeln, sondern auch entscheiden muss. In Kindschaftssachen kommt diesem Postulat besonders große Bedeutung zu. Denn mit einer zunehmenden Verfahrensdauer kann "eine Entfremdung oder eine Kontinuität zum Nachteil des anderen Elternteils zunehmen, sodass nicht mehr der Richter, sondern die Zeitabläufe den Streitfall entscheiden." Mit Rücksicht hierauf hat auch der EuGHMR seiner Entscheidung vom 17.1.2012 den folgenden Leitsatz vorangestellt:
Zitat
"Art. 8 Abs. 1 EMRK begründet die ungeschriebene, besondere Sorgfaltspflicht des Staates, einen Umgangsrechtsstreit zügig zu entscheiden, um faktische Verfahrenserledigungen durch Zeitablauf zu verhindern."
In den Gründen führt der Gerichtshof aus, dass "in Rechtssachen, die das Verhältnis einer Person zu ihrem Kind betreffen, wegen des Risikos einer faktischen Erledigung durch Zeitablauf eine besondere Sorgfaltspflicht gilt. Diese Sorgfaltspflicht ist bei der Beurteilung der Frage entscheidend, ob ein Umgangsrechtsstreit in angemessener Frist gemäß Art. 6 Abs. 1 der Konvention verhandelt wurde und ist zugleich eine der in Art. 8 implizit enthaltenen verfahrensmäßigen Voraussetzungen."
Bei übermäßiger Dauer eines Gerichtsverfahrens greift zum Schutz der Beteiligten in erster Linie das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011 ein. Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs ist die Verfahrensrüge. Sie setzt ein Verschulden des Richters nicht voraus. Die Betroffenen können sich danach in zwei Stufen gegen überlange Gerichtsverfahren wenden. Verzögert ein Richter nach Ansicht der Beteiligten das Verfahren unzumutbar lange, hat der Betroffene das zunächst zu rügen und so dem Gericht die Möglichkeit der Abhilfe zu geben. Verzögert sich das Verfahren trotz dieser Rüge weiter, kann in einer zweiten Stufe klageweise eine Entschädigung von bis zu 1.200 EUR pro Jahr für die mit der Verzögerung verbundenen Nachteile verlangt werden.
Da die Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG nur die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs regelt, selbst aber keine verbindliche Beschleunigung des Ausgangsverfahrens in Aussicht stellt, ergibt sich das Problem, ob die sog. Untätigkeits- oder besser: Beschleunigungsbeschwerde neben der Verzögerungsrüge (weiterhin) noch besteht.
Der BGH hat entschieden, dass seit Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eine Untätigkeitsbeschwerde nicht mehr statthaft ist. Diese Rechtsansicht bekräftigt er erneut in seiner Entscheidung vom 30.4.2014. Wie fragwürdig gerade in Familiensachen diese Meinung ist, hat der Autor in seiner Abhandlung "Verzögerungsrüge versus Untätigkeits- oder Beschleunigungsbeschwerde in Kindschaftssachen" im Einzelnen dargelegt. Diese Ansicht wird auch geteilt von Fischer, Zimmermann, Völker/Clausius, Althammer, Ossenbühl und Rixe. Durch die frühere Rechtsprechung des EuGHMR sieht sich der Verfasser in seiner Rechtsansicht bestätigt. Denn danach ging der Beschleunigungsrechtsschutz dem Entschädigungsrechtsschutz stets vor. Im Einzelnen hatte der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass ein kompensatorischer Rechtsbehelf, der allein im Nachhinein eine finanzielle Entschädigung gewährt, nicht ausreicht, sondern der betreffende Staat verpflichtet ist, zusätzlich einen präventiven oder beschleunigenden Rechtsbehelf zur Verfügung zu stellen. Später hat der EuGHMR seine Aussage relativiert. Er geht nun...