Zugleich Besprechung von BGH, Beschl. v. 19.11.2014 – XII ZB 478/13
I. Der Beschluss des BGH
1. Vermutung der Geltendmachung des Gesamtunterhaltsanspruchs
Mit Beschluss vom 19.11.2014 hat der BGH in Fortführung früherer Rechtsprechung entschieden, dass im Vorverfahren "vergessener" Vorsorgeunterhalt nicht mit einem Zusatzantrag nachverlangt werden kann, sondern nur mit einem Abänderungsantrag, wenn die dafür vorgeschriebenen Voraussetzungen gegeben sind. Nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen ist nach dem Sinn und Zweck der Regelung des § 323 ZPO bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu wiederkehrenden Leistungen eine Zusatz- oder Nachforderungsklage nur ausnahmsweise zulässig, wenn im Vorprozess ausdrücklich erklärt wurde oder den Umständen eindeutig zu entnehmen war, dass nur ein Teil der an sich höheren Forderung geltend gemacht wurde. Bei Unterhalt spricht die Vermutung dafür, dass der Anspruch in voller Höhe geltend gemacht wurde.
2. Für Teilklage nicht ausreichende Umstände
In dem vom BGH entschiedenen Fall ging es um Vorsorgeunterhalt nach § 1361 Abs. 1 S. 2 BGB. Dessen Nachforderung war im Vorverfahren weder ausdrücklich noch nach den Umständen hinreichend deutlich vorbehalten worden. Bei der zweistufigen Unterhaltsberechnung ist ein derartiger Vorbehalt schon deswegen nicht anzunehmen, weil es naheliegend ist, dass der Berechtigte eine mit der Forderung von Vorsorgeunterhalt verbundene Kürzung seines Elementarunterhalts vermeiden wollte. Aber auch bei der hier vorliegenden konkreten Berechnung des Unterhalts fehlten genügende Anhaltspunkte für einen Vorbehalt. Abgesehen davon, dass sich der Berechtigte des Bestehens einer weiteren Forderung bewusst gewesen sein muss, können Opportunitätsgründe, etwa Erwartungen eines erheblichen Kapitals aus der vermögens- und güterrechtlichen Auseinandersetzung, dafür ausschlaggebend gewesen sein, Vorsorgeunterhalt nicht geltend zu machen. Für die prozessuale Frage des Vorliegens eines Vorbehalts einer Nachforderung ist unerheblich, dass dieser nach der Rechtsprechung als Voraussetzung für den Anspruch auf Vorsorgeunterhalt für die Vergangenheit bei der Mahnung nicht ausdrücklich erwähnt werden muss.
3. Umdeutung eines Erstantrags in einen Abänderungsantrag
Ein unzulässiger Nachforderungsantrag kann zwar in einen Abänderungsantrag umgedeutet werden, wenn er die Voraussetzungen des § 238 Abs. 1 S. 2 FamFG enthält. Dies war hier nicht der Fall. Einmal fehlte das Vorbringen einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse im Vergleich zu dem hier maßgeblichen ersten Abänderungsverfahren. Außerdem wäre es erforderlich gewesen, dass die Antragstellerin, die grundsätzlich zwischen einem Abänderungsantrag und einer Beschwerde wählen konnte, in der Beschwerdeinstanz im ersten Abänderungsverfahren Vorsorgeunterhalt geltend gemacht hätte.
II. Einordnung der Entscheidung
Die Entscheidung bestätigt die herrschende Meinung. Sie befasst sich mit Grundfragen von Titeln über künftig fällig werdende wiederkehrende Leistungen und gibt Anlass, sich die Eigenart der Abänderungsvorschriften in die Erinnerung zu rufen.
1. Neufassung der Abänderungsvorschriften
Anlässlich der Schaffung des FamFG im Rahmen des FGG-RG v. 17.12.2008 (BGBl I, S. 2586) wurde der Anwendungsbereich der Bestimmung des § 323 ZPO a.F. über die Abänderung von Titeln mit einer Verpflichtung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen in zweierlei Hinsicht konkretisierend aufgeteilt, nämlich in allgemeine Streitsachen, nunmehr §§ 323, 323a ZPO n.F., und gesetzliche Unterhaltssachen, nunmehr §§ 238, 239 i.V.m. § 231 FamFG, sowie rechtskraftfähige gerichtliche Endentscheidungen, nunmehr § 323 ZPO n.F. bzw. § 238 FamFG, und gerichtliche Vergleiche und vollstreckbare Urkunden, d.h. nichtrechtskraftfähige Titel, nunmehr § 323a ZPO bzw. § 239 FamFG. Im Übrigen wurde der Inhalt der Abänderungsvorschrift des § 323 ZPO a.F. im Wesentlichen übernommen.
2. Zweck der Abänderungsvorschriften
Die Abänderungsvorschriften setzen einen Titel mit der Verpflichtung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen voraus, etwa zu einer monatlich zahlbaren Unterhaltsrente. Sie nehmen hinsichtlich Entscheidungen Bezug auf die Vorschrift des § 258 ZPO. Diese gestattet bei wiederkehrenden Leistungen eine rechtskraftfähige Verurteilung auch wegen der erst nach Erlass der Entscheidung fälligen Leistungen. Das ist eine Ausnahme vom Normalfall, in welchem nach der ZPO für eine Verurteilung vorausgesetzt wird, dass sämtliche Anspruchsvoraussetzungen, auch die Fälligkeit der Forderung, im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bereits vorliegen. Dem Gläubiger, der etwa auf die pünktliche und volle Unterhaltszahlung für seine Existenz angewiesen ist, wird mit der Entscheidung nach § 258 ZPO aufgrund einer vorausschauenden Würdigung der künftigen Verhältnisse (Prognose) durch den Richter im Voraus ein Titel in die Hand gegeben, aus dem er vollstrecken kann, wenn der Schuldner nicht pünktlich oder nicht vollständig leistet. Stellt sich heraus, dass die Entscheidung unrichtig ist, weil sich die Verhältnisse tatsächlich w...