Die Rechtsprechung zum nachehelichen Unterhalt wurde nachhaltig durch zwei frühe, bereits in den 1950er Jahren und damit noch vor Erlass des Familiengesetzbuches ergangene, stark ideologisch durchsetzte höchstrichterliche Entscheidungen geprägt. Mit diesen beiden Entscheidungen dürfte die Grundlage für die überaus rigide Beschränkung des nachehelichen Unterhalts gelegt worden sein. In den Gründen des Kassationsurteils vom 1.12.1950 führt das Oberste Gericht aus:
Zitat
"Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass in der DDR selbstverständlich jeder Mensch, auch jede Frau, die Arbeitskraft dem Aufbau, der Erfüllung des Wirtschaftsplanes zur Verfügung zu stellen hat. Jeder Mensch muss deshalb auch einen Beruf ausüben und gegebenenfalls sogar eine Berufsausbildung erwerben. Die Gleichberechtigung im Wirtschaftsleben gibt auch der Frau die Möglichkeit dazu. Die Tatsache einer Ehescheidung, auch wegen alleinigen Verschuldens des Mannes, ist kein Freibrief für die geschiedene Frau in der Spekulation auf die Unterhaltspflicht des Mannes ein Faulenzerleben zu führen. Die Eröffnung einer solchen Möglichkeit würde allerdings gegen den Art. 7 der Verfassung verstoßen; denn dadurch würde eine Frau geradezu davon abgehalten werden, sich durch eine Erweiterung ihres Wissens und Könnens die Grundlage für ihre wirtschaftliche und gesellschaftliche Gleichberechtigung zu verschaffen. Gegebenenfalls hat ihr der geschiedene Mann eine bestimmte Zeit Unterhalt zu gewähren, damit sie sich eine Berufsausbildung verschaffen kann, um dann auch ihren staatsbürgerlichen Pflichten nachzukommen."
Das Urteil vom 16.10.1952 gab Gelegenheit, diese Rechtsprechung zu bekräftigen. In der Entscheidung heißt es:
Zitat
" … der Verpflichtung auch der Frau zu nutzbringender Tätigkeit als Folge des neuen Verhältnisses jedes einzelnen zur Gesellschaft und zur Arbeit zieht andererseits die Konsequenz nach sich, dass die Frau mit dem Eintritt in das Berufsleben nunmehr die Rechtstellung jedes Arbeitenden teilt, d.h. also, dass von diesem Zeitpunkt ab bei voller Erwerbsfähigkeit der Frau alle aus der früheren Ehe etwa herzuleitenden Rechte auf Gewährung von Unterhalt durch den geschiedenen Ehemann für immer in Wegfall kommen."
Beide Entscheidungen bewirkten, dass der nacheheliche Unterhalt von vornherein als Ausnahme angesehen wurde, der allenfalls übergangsweise zugesprochen werden konnte. Eindeutig im Vordergrund stand das Prinzip, dass mit der Scheidung grundsätzlich alle Rechtsbeziehungen zwischen den Ehegatten beendet sein sollten.
Der Umstand, dass das Oberste Gericht die Instanzgerichte mahnen musste, die gesetzlichen Bestimmungen nicht "einengend anzuwenden" sowie weiter, dass die Rechtsprechung der Untergerichte zum nachehelichen Unterhalt in den "Leitungsmaßnahmen" des Obersten Gerichts vielfach kritisch thematisiert wurde und dass das Oberste Gericht im Jahr 1975 schließlich sogar eine gesonderte Plenartagung allein zum nachehelichen Unterhalt abhielt, legt die Vermutung nahe, dass die nachgeordneten Gerichte über die bereits sehr restriktive Linie des Obersten Gerichts noch hinausgegangen sind und den nachehelichen Unterhalt weiter eingeschränkt oder ganz versagt haben.
Tatsächlich waren Verfahren auf nachehelichen Unterhalt in der Gerichtspraxis der DDR die Ausnahme. Trotz einer außergewöhnlich hohen Zahl von Scheidungen, von denen in der Regel auch Kinder betroffen waren – auch im internationalen Vergleich war die Scheidungsrate in der DDR sehr hoch und übertraf diejenige in Westdeutschland deutlich; ab den 1970er Jahren stieg sie weiter steil an – soll nachehelicher Unterhalt in der DDR in allenfalls 2 % bis maximal 5 % aller Scheidungsverfahren geltend gemacht worden sein. Eine genauere Untersuchung liegt für das Jahr 1973 vor; danach wurde bei den ca. 38.500 Scheidungen des Jahres in nur 7,7 % der Fälle nachehelicher Unterhalt zuerkannt; die Zahl dürfte in den folgenden Jahren weiter gesunken sein. In über 90 % der Fälle des Jahres 1973 war dies lediglich ein zeitlich befristeter Unterhalt; nur in 9 % der Scheidungsverfahren – 271 Fälle – wurde unbefristeter Unterhalt zugesprochen. Die Übergangszeit, für die Unterhalt zugesprochen wurde, soll sich zumeist im Bereich von einigen Monaten bewegt haben. Nach der Untersuchung des Obersten Gerichts für das Jahr 1973 sollen die Instanzgerichte in den wenigen Fällen, in denen überhaupt Unterhalt zugesprochen wurde, diesen zudem vielfach der Höhe nach begrenzt und die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nur ungenügend beachtet haben: Es wurde festgestellt, dass der nach den Richtsätzen eigentlich gebotene Unterhalt in einer Höhe von etwa 30 bis 40 % des Nettoeinkommens des Unterhaltspflichtigen von den Untergerichten häufig deutlich unterschritten und Unterhalt lediglich in Höhe von 20 % des Nettoeinkommen des Pflichtigen zuerkannt wurde. Von der absoluten Höhe her waren die ausgeurteilten Unterhaltsrenten sehr niedrig; im Jahr 1973 sollen sie ...