Dieser Befund überrascht. Denn der Anteil der Kinder, die außerhalb einer bestehenden Ehe der Eltern geboren werden, ist in Ostdeutschland außerordentlich hoch und übertraf die westdeutsche Quote zumeist um mehr als das Doppelte: Bereits im Jahr 1966, bei Inkrafttreten des FGB, betrug die Nichtehelichenquote in der DDR 10 %. Der Anteil der nichtehelichen Geburten stieg in den Folgejahren steil an und machte im Jahr 1990 etwa ein Drittel aller Geburten aus (33,5 %), wohingegen in Westdeutschland im gleichen Zeitraum ein eher moderater Anstieg von 4,6 % im Jahr 1966 auf 10,2 % im Jahr 1990 zu verzeichnen war.[101] Tatsächlich hatte die Zahl der nichtehelichen Partner- und Familiengemeinschaften in der DDR seit dem Ende der 1970er-Jahre erheblich zugenommen und betrug 1987 beispielsweise in der Gruppe der 18-40jährigen Unverheirateten etwa 29 % bei den Frauen und 27 % bei den Männern.[102]

Über die Gründe, weshalb trotz dieser doch recht deutlichen gesellschafts- und bevölkerungspolitischen Ausgangslage der DDR-Gesetzgeber gleichwohl davon Abstand genommen hat, entsprechende zivilrechtliche Regelungen zu schaffen, kann nur spekuliert werden: Eine gewichtige Rolle könnte der Zeitgeist gespielt haben. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass ein Unterhaltsanspruch der nichtverheirateten Mutter im Jahr 1966, bei Inkrafttreten des FGB, auch dem bundesdeutschen Recht noch völlig fremd war. In dieser Zeit kannte das BGB nur die "Sechswochenkosten" (§ 1715 Abs. 1 BGB i.d.F. bis zum 30.6.1970): Der Vater schuldete der Mutter lediglich Ersatz für die Kosten der Entbindung sowie die Unterhaltskosten für die ersten sechs Wochen danach. Es handelte sich noch nicht einmal um einen Unterhalts-, sondern um einen von der Leistungsfähigkeit des Vaters und der Bedürftigkeit der Mutter losgelösten Entschädigungsanspruch eigener Art.[103] Erst mit dem zum 1.7.1970 in Kraft getretenem Nichtehelichengesetz[104] wurde in der Bundesrepublik ein erster, freilich noch sehr bescheidener Unterhaltsanspruch eingeführt: Danach konnte die Mutter für einen Zeitraum von vier Monaten vor bis längstens ein Jahr nach der Geburt des Kindes Unterhalt verlangen, wenn sie nachweisen konnte, dass ihre Unterhaltsbedürftigkeit auf eine schwangerschafts- oder entbindungsbedingte Krankheit bzw. eine fehlende Fremdbetreuungsmöglichkeit für das Kind zurückzuführen war (§ 1615l Abs. 2 BGB i.d.F. des Nichtehelichengesetzes).[105] Ein weiterer Grund dafür, dass der DDR-Gesetzgeber davon abgesehen hat, eine funktionale Entsprechung zu den "Sechswochenkosten" in das Gesetz zu übernehmen, könnte möglicherweise daran liegen, dass die dort geregelten Ansprüche in der DDR bereits seinerzeit durch entsprechende staatliche Sozialleistungen abgedeckt waren, so dass daneben für eine zivilrechtliche Regelung praktisch kein eigener Anwendungsbereich verblieben wäre.[106] Insoweit ist daran zu erinnern, dass auch der § 1615l Abs. 1 BGB und die funktional entsprechenden Regelungen in Österreich (§ 235 Abs. 1 ABGB) und der Schweiz (Art. 295 Abs. 1 Nr. 2 ZGB) kaum noch eine praktische Bedeutung haben, weil die dort gewährten zivilrechtlichen Ansprüche regelmäßig durch vorrangige sozialrechtliche, krankenversicherungsrechtliche oder arbeitsrechtliche Ansprüche verdrängt werden, die die unterhaltsrechtliche Bedürftigkeit der Mutter entfallen lassen.[107]

Nach der Wende wurde seitens führender Familienrechtswissenschaftler der DDR zwar eingeräumt, dass die Regelungen des Familiengesetzbuches insbesondere in den letzten Jahren der DDR zunehmend auf Kritik gestoßen seien; aus zahlreichen Bürgereingaben soll sich ergeben haben, dass insbesondere die Regelungen zum Eltern-Kind-Verhältnis bei fehlender Ehe der Eltern zunehmend als unbefriedigend empfunden wurden.[108] Aber dem DDR-Gesetzgeber scheint der Wille und die Kraft gefehlt zu haben, um die gesetzlichen Bestimmungen der 1960er-Jahre an die danach eingetretenen Änderungen im gesellschaftlichen Bewusstsein und die veränderten Familienverhältnisse anzupassen.[109]

Insgesamt betrachtet, liegt die Vermutung nahe, dass die Unterstützung nichtverheirateter, betreuender Eltern in der DDR – ähnlich wie beispielsweise in Frankreich[110] – in erster Linie als eine Aufgabe der staatlichen Daseinsvorsorge angesehen wurde: Dafür könnte sprechen, dass die Unterstützung von alleinerziehenden Müttern ein stets betontes, besonderes Anliegen der DDR-Sozialpolitik war.[111] Aber auch ein Vergleich zwischen den in der Gerichtspraxis ausgeurteilten, insgesamt äußerst knapp bemessenen Unterhaltsrenten für geschiedene, betreuende Mütter mit den verschiedenen staatlichen Sozialleistungen, die in ihrer Höhe teilweise deutlich besser ausgestattet waren,[112] könnte als Hinweis darauf gewertet werden, dass in der DDR im Bereich der Unterstützung betreuender, nichtverheirateter Elternteile allein auf das staatliche Familiensozialrecht gesetzt wurde.

[101] Vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (Hrsg.), (Keine) Lust auf Kinder? Geburtenentwicklung in Deut...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge