Ein dritter, für das Unterhaltsrecht außerordentlich bedeutsamer Umstand kommt hinzu:[18] Die Unterstützung von betreuenden Eltern – in der ostdeutschen Praxis handelte es sich hierbei fast ausschließlich um betreuende Mütter[19] – war ein besonderes Anliegen der staatlichen Sozialpolitik, was in der familienrechtlichen Literatur der DDR entsprechend breit gewürdigt wurde.[20] Viele Versorgungsleistungen wie beispielsweise Werkküchenessen, Schulspeisung, Betreuungsplätze etc., die eigentlich durch den Unterhalt abgedeckt werden, wurden in der DDR kostengünstig oder kostenfrei durch den Staat erbracht:[21] In der DDR soll es erklärtes politisches Ziel gewesen sein, eine schrittweise Übernahme der den Familien entstehenden Kinder- und Kinderausbildungskosten durch den Staat zu erreichen. Tatsächlich sollen die Aufwendungen für Kinder gegen Ende der DDR-Zeit denn auch zu etwa drei Vierteln von der Gesellschaft erbracht worden sein.[22]

Die zahlreichen, in der DDR gewährten Sozialleistungen wie etwa Kindergeld, Geburtsbeihilfen, Krediterlass bei Geburt eines Kindes, Freistellung von Müttern für ein bezahltes Babyjahr, vergütete Arbeitszeitverkürzungen oder verlängerter Urlaub für Mütter mit mehreren Kindern in Verbindung mit dem Vorrang alleinerziehender Mütter bei der Zuteilung von staatlichen Leistungen trugen dazu bei, die Unterhaltsbedürftigkeit in der ostdeutschen Praxis zu reduzieren.[23] Hinzu kam, dass die DDR-Gerichte im Rahmen der "Leitungsmaßnahmen" des Obersten Gerichts[24] besonders dazu angehalten wurden, unterhaltsberechtigte Mütter nicht nur über bestehende Ansprüche auf staatliche Sozialleistungen aufzuklären, sondern darüber hinaus auch verpflichtet wurden, sowohl "in Zusammenarbeit mit den Organen der Sozialversicherung zu prüfen, ob der Mutter ein Anspruch auf Mutterunterstützung zusteht" und das Unterhaltsverfahren auszusetzen, bis über den Anspruch entschieden war,[25] als auch "Schwierigkeiten bei der Beschaffung geeigneter Arbeitsmöglichkeiten für die geschiedene Frau im Zusammenwirken mit dem Amt für Arbeit … auszuräumen."[26]

[18] Vgl. Adlerstein/Wagenitz, FamRZ 1990, 1300 (1300 f.).
[19] Vgl. Gysi, Familien im sozio-demographischen Wandel – eine Untersuchung für die ehemalige DDR, in: Deutscher Familiengerichtstag (Hrsg.), Neunter Deutscher Familiengerichtstag 1991 (1992), 77 (78) sowie Strasberg, NJ 1976, 697 (700); Grandke/Kuhrig/Weise, NJ 1965, 231 (233).
[20] Vgl. Familienrecht/Grandke/Seifert (Fn 5), S. 33 ff. (39 f.), 225 f. sowie Grandke, Zur Anwendung des Ehescheidungsrechts, NJ 1987, 56 (56); Grandke/Gysi/Orth/Rieger/Schreiter, NJ 1977, 196; Hejhal, Mit der Rechtsprechung zur Verwirklichung des sozialpolitischen Programms des VIII. Parteitages der SED beitragen! NJ 1972, 531 (531); Kuhrig, NJ 1972, 467 (468 ff.); Eberhardt, Die Bestimmungen über den Unterhalt, NJ 1965, 250 (253).
[21] Vgl. die tabellarische Zusammenstellung bei Grandke, in: Th. Ramm/Grandke (Hrsg.), Zur Familienrechtspolitik nach der Wiedervereinigung (1995), 35 ff.
[22] Vgl. 5. Familienbericht der Bundesregierung: Familie und Familienpolitik im geeinten Deutschland v. 15.6.1994, BT-Drucks 12/7560, 110.
[23] Vgl. Grandke/R. Ramm, in: Th. Ramm/Grandke (Hrsg.), Zur Familienrechtspolitik nach der Wiedervereinigung, 1995, 1 (18 ff.).
[24] Vgl. Grandke, Zur Leitung der Rechtsprechung durch das Oberste Gericht, NJ 1990, 202; Beckert, Gegenwärtiger Status des Obersten Gerichts der DDR, DtZ 1990, 204 (205).
[25] Vgl. Strasberg, NJ 1976, 697 (700); Thoms, Bericht über die 14. Plenartagung des Obersten Gerichts, NJ 1975, 300 (300 f.); Thoms, Lösung familienrechtlicher Probleme bei der Verwirklichung der sozialpolitischen Maßnahmen, NJ 1973, 9 (11); Hejhal, NJ 1972, 531 (533).
[26] Vgl. Diskussionsbeitrag Latka, zitiert bei Thoms, NJ 1975, 300 (302).

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