Dies sieht auch der XII. Zivilsenat so, der mit seinem Beschluss keineswegs den ersten Schritt zu einer Etablierung des Wechselmodells als Standardmodell unternommen hat. So kritikwürdig die Entscheidung auf der einen Seite sein mag, so begrüßenswert deutlich erteilt sie einer solchen Tendenz eine Absage, denn gleich im ersten Leitsatz ist nach dem Ausspruch der Zulässigkeit einer entsprechenden gerichtlichen Umgangsregelung ausgeführt, dass "entscheidender Maßstab der Regelung“ das "im konkreten Einzelfall festzustellende Kindeswohl"" ist. Und nur dieses. Wenn zudem im ersten Leitsatz noch ausgeführt wird, "die Ablehnung des Wechselmodells durch einen Elternteil hindert eine solche Regelung für sich genommen noch nicht", dann wird klar, welches verständliche Ziel der Senat mit seinem Beschluss verfolgt haben dürfte: In bestimmten Konstellationen kann das Leben im Wechselmodell zweifelsohne kindeswohldienlich und anderen Gestaltungen vorzuziehen sein. Trotzdem ist es denkbar, dass die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern nicht zu einem entsprechenden Konsens gelangen. Dies, weil sie aufgrund von Trennungskonflikten nicht den Anforderungen genügen wollen, die der Gesetzgeber ihnen auferlegt, nämlich die Paarebene und die Ebene gemeinsamer Elternschaft klar voneinander zu trennen und gemeinsam zum Wohl des Kindes zusammenzuwirken, auf welches sie treuhänderisch verpflichtet sind, auch wenn ihre Partnerschaft gescheitert ist.
Der Senat scheint vor diesem Hintergrund eine Situation zu befürchten, wie sie bis 2013 im Rahmen der elterlichen Sorge bestand, in der die allein sorgeberechtigte Mutter auch aus ganz sachfremden (also kindeswohlfremden) Erwägungen heraus die Abgabe einer Sorgeerklärung unterlassen und damit den Vater von der elterlichen Sorge ausschließen konnte. Hier wurde schließlich auf Druck des EGMR ein Verfahren geschaffen, in dem unter bestimmten Voraussetzungen auch gegen den Willen der Mutter die gemeinsame elterliche Sorge begründet werden konnte, nämlich wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht, § 1626a Abs. 2 BGB. Zu einer ähnlichen Situation kann es auch in Fragen der tatsächlichen Betreuung des Kindes kommen, auch wenn es für die gerichtliche Anordnung eines Wechselmodells – anders als in § 1626a Abs. 2 BGB – nicht ausreicht, dass dies nicht dem Kindeswohl widerspricht. Vielmehr ist Kindeswohldienlichkeit erforderlich (Rn 25), für die zudem auch keine Vermutung streitet.
Der XII. Zivilsenat wollte also offenbar ein Instrument schaffen, mit dem in einzelnen Fällen völlig sachwidriger Blockade ein Wechselmodell angeordnet werden kann. Damit nimmt der Senat einmal mehr Entscheidungsdruck vom Gesetzgeber. Gleichzeitig übt er Druck auf die betroffenen Eltern aus, in geeigneten Fällen im Konsens ein Modell zu suchen, das den Umgang eines Elternteils über die Standardregelung "jedes zweite Wochenende" hinaus auf den für das Kind gedeihlichsten Modus erweitert – oder noch stärkere Konflikte zu schüren, damit das Familiengericht nicht die Voraussetzungen für die Anordnung eines Wechselmodells gegeben sieht. Noch einmal also: Hier ist kein Paradigmenwechsel erfolgt, sondern das Gericht sagt ganz klar:
Zitat
"Das Wechselmodell ist danach anzuordnen, wenn die geteilte Betreuung durch beide Eltern im Vergleich mit anderen Betreuungsmodellen dem Kindeswohl im konkreten Fall am besten entspricht." (Rn 27)
Drunter geht's nicht und erst dann können die Elternrechte Beachtung finden.