Freilich bedarf es dieser Uminterpretation des für das Residenzmodell geschaffenen § 1687 BGB nicht. Die Abgrenzung der elterlichen Kompetenzbereiche im Wechselmodell (einerlei, ob dieses im Konsens begründet wurde oder auf Grundlage gerichtlicher Anordnung gelebt wird) ergibt sich aus allgemeinen Grundsätzen: Das Sorgerecht ist ein treuhänderisches Recht, ein den Eltern zum Wohl ihres Kindes übertragenes pflichtgebundenes Recht. Sind beide Eltern sorgeberechtigt, so besteht zwischen ihnen kraft Gesetzes ein mittreuhänderisches Schuldverhältnis, welches die Funktionsfähigkeit der jeweiligen Sorgerechtsbeziehungen der beiden Elternteile zu ihrem Kind absichert. Die Primärpflicht aus diesem gesetzlichen Schuldverhältnis lässt sich – unabhängig vom gelebten Familienmodell – dementsprechend als umfassende Kooperations- und Koordinationspflicht der Eltern im Interesse und zum Wohl des Kindes kennzeichnen. Seinen gesetzlichen Niederschlag findet diese Pflicht bei zusammenlebenden Eltern in § 1627 BGB, bei getrennt lebenden Eltern in § 1687 BGB, ohne dass diese Regelungen deshalb als abschließend angesehen werden müssten. Viel mehr ist diese umfassende Kooperationspflicht nach dem jeweiligen Lebensmodell zu modifizieren.
Diese umfassende Kooperationspflicht ist erforderlich, weil die elterliche Sorge der Struktur nach, wie jedes treuhänderische Recht, als Rahmenrecht ausgestaltet ist. Diese bedeutet, dass das Gesetz nicht ein konkretes Rechte- und Pflichtenprogramm regelt. Die gesetzliche Regelung als Rahmenrecht, § 1626 BGB, gibt den Beteiligten vielmehr die im Alltag erforderliche Flexibilität, denn nicht alle denkbaren Lebenssachverhalte lassen sich vorhersehen und planen. Bei der Konkretisierung des elterlichen Rahmenrechts sind demnach zwei Ebenen zu unterscheiden. Auf der ersten Stufe haben die Eltern eine allgemein-individuelle Rahmenbestimmung vorzunehmen. Es ist Recht, aber auch Pflicht der Eltern, die Leitprinzipien der Erziehung und den Erziehungsstil festzulegen. Bestandteil des allgemein-individuellen Rahmens sind dabei auch all die Entscheidungen, die für das Kind mittel- und langfristig von Bedeutung sind. Die elterliche Einigung über den individuell-generellen Rechte- und Pflichtenrahmen ist für beide Elternteile verbindlich. Hat einer der beiden Elternteile den Wunsch, von der Vereinbarung abzuweichen, hat er mit dem anderen Elternteil einen neuen Konsens hierüber zu erzielen. Resultiert der Wunsch zur Änderung der Leitprinzipien nicht allein aus einem persönlichen Interesse, sondern zeigt sich, dass eine Änderung aus Kindeswohlgründen angezeigt ist, besteht eine mittreuhänderische Pflicht des anderen Elternteils zur Anpassung der Rahmenvereinbarung. Bei nicht getrennt lebenden Eltern werden derartige Anpassungen oftmals auch in Form eines ständigen Nachjustierens erfolgen. Bei voneinander getrennt lebenden Eltern ist eine regelmäßige Verständigung über diese den Rahmen der elterlichen Entscheidungskompetenz bildenden Leitprinzipien erforderlich. Freilich lässt der Familienrichter, der eine Umgangsregelung in Form eines Wechselmodells anordnet, die mit einem Konflikt auf der Paarebene belasteten Eltern hierbei allein – die Erstellung von Sorgeplänen oder regelmäßige Gespräche im Beisein eines Mediators sind mangels gesetzlicher Regelung nicht vorgesehen. Allerdings handelt es sich bei diesen Rahmenvorgaben immer um "Entscheidungen von erheblicher Bedeutung" i.S.v. § 1628 BGB, so dass bei fehlender Einigungsfähigkeit das Familiengericht angerufen werden kann. Auf dieser selbstgesetzten allgemein-individuellen Grundlage sind im Alltag dann die konkret-individuellen Einzelpflichten jeweils situationsadäquat von den Inhabern der elterlichen Sorge zu ermitteln. Nur auf diese Weise sieht sich das Kind kindeswohlkonform verlässlichen Erziehungsmaßstäben ausgesetzt.
Autor: Prof. Dr. Martin Löhnig , Universität Regensburg
FF 11/2017, S. 429 - 434