I. Beredtes Schweigen des Gesetzgebers
In einem grundlegenden Beschluss hat der BGH entschieden, das geltende Kindschaftsrecht lasse eine gerichtliche Umgangsregelung zu, die im Ergebnis zu einer gleichmäßigen Betreuung des Kindes durch beide Eltern im Sinne eines paritätischen Wechselmodells führt. Das Gericht hat sich damit gegen die weit überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur gestellt. Diese geht unter Berufung auf die Vorstellungen des Reformgesetzgebers von 1998, der allein das Residenzmodell im Blick hatte (was – etwa in § 1687 BGB – auch legislativen Niederschlag gefunden hat) davon aus, dass Eltern bis an die Grenze des § 1666 BGB im Konsens ein Wechselmodell leben können, ein solches aber nicht gerichtlich – und damit gegen den Willen mindestens eines Elternteils – angeordnet werden könne.
Wenn der Senat in seiner Begründung (Rn 3) ausführt, es liege fern, dass der Gesetzgeber das Wechselmodell als von vornherein kindeswohlschädlich betrachtet hätte, hat er damit trotzdem Recht, zumal die rechtstatsächlichen Ausführungen in der Gesetzesbegründung der Kindschaftsrechtsreform 1998 auch Zahlen über (im Konsens!) gelebte Wechselmodelle enthalten. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass der Gesetzgeber auch eine gerichtliche Anordnung von Wechselmodellen ermöglichen wollte – vielleicht sogar im Gegenteil: Anders als vielfach suggeriert, ist das Wechselmodell ja keine grundstürzende Neuerung, auf die das Recht nun reagieren muss. Vielmehr hätte der Gesetzgeber angesichts der in der inzwischen 20 Jahre alten Gesetzesbegründung genannten 11 % der Trennungskinder, die seinerzeit im Wechselmodell gelebt haben, durchaus schon damals darauf reagieren können. Hat er bei näherem Hinsehen auch, nämlich durch Nichtschaffung entsprechender Regelungen, durch beredtes Schweigen also. Zu Recht ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass es nur für Fälle gerichtlicher Anordnung von Umgangsregelungen einer klaren gesetzlichen Reglementierung der jeweiligen Kompetenzbereiche bedürfe – und hat solche Regelungen nur für das Residenzmodell vorgesehen. Die Behauptung des BGH (Rn 16), der Begriff "Umgang" umfasse es dem Wortlaut nach, durch Festlegung der Umgangszeiten beider Eltern, die Betreuung des Kindes hälftig unter diesen aufzuteilen, ist überdies zumindest gewagt und jedenfalls schlicht ahistorisch; der Gesetzgeber hatte ein anderes Begriffsverständnis und nur auf dieses kommt es an.
II. Der Wechselmodellbeschluss als Paradigmenwechsel?
1. Verteilungsgerechtigkeit statt Kindeswohl?
Wie dem auch sei: Nunmehr können Familiengerichte Umgangsregelungen mit dem Inhalt eines paritätischen Wechselmodells anordnen und es stellt sich die Frage nach den Entscheidungsmaßstäben. Vorgelagert ist freilich die Frage, ob der XII. Zivilsenat des BGH mit dieser Entscheidung den Weg zur Etablierung des Wechselmodells als Standardmodell einschlagen möchte.
Diese Frage, deren Entscheidung eigentlich allein dem Gesetzgeber zusteht, ist deshalb von großem Interesse, weil die Etablierung eines Modells, in dem das Kind nicht einen, sondern im besten Fall zwei, im schlechtesten Fall keinen Lebensmittelpunkt hat, einen scharfen Bruch mit den bislang das Kindschaftsrecht tragenden Grundsätzen bedeuten würde: den Übergang von einem kindeswohlzentrierten auf ein elternrechtzentriertes Kindschaftsrecht und damit – freilich unter ganz anderen Vorzeichen – einen roll back in Jahrzehnte alte Zeiten, in denen die elterliche Sorge noch nicht als treuhänderische Rechtsposition zugunsten des Kindes begriffen worden war. Denn aus der Sicht der beteiligten Eltern und ihrer Rechte ist das Wechselmodell eine gute Lösung: Es ist paritätisch und damit gerecht. Vater und Mutter teilen sich die tatsächliche Verantwortung für ihr Kind, können beide weiterhin intensiven Kontakt zu ihm pflegen und ihren Alltag mit ihm teilen. Beide haben aber auch kinderfreie Zeit und die Möglichkeit, eine neue Partnerschaft oder Familie zu leben.
Allerdings lässt sich bezweifeln, ob dieses Modell der Verteilungsgerechtigkeit als solches stets auch das Wohl des zu verteilenden Kindes im Blick hat. Wer einmal über längere Zeit hinweg zum Pendeln zwischen Arbeitsplatz und Familie gezwungen war, mag die Belastungen ermessen, die das Wechselmodell für ein Pendelkind verursachen kann. Das beginnt bei scheinbar ganz banalen Dingen: Ob das Kind morgen mit seinen Freunden weiterspielen oder die Lieblingshose anziehen kann, die jetzt gerade beim anderen Elternteil liegt, darf dann nä...