Wie oben geschildert, sind für die Kinder in erster Linie ihre Eltern verantwortlich. Werden sie ihrer Pflege- und Erziehungsverantwortung jedoch nicht gerecht, hat das Kind "Anspruch auf den Schutz des Staates".
Der Staat hat nach der Karlsruher Rechtsprechung einen "grundrechtlichen Gewährleistungsauftrag" sicherzustellen, dass die Eltern ihre Pflichten "in Ausrichtung auf das Kindeswohl" wahrnehmen. Die Rede ist vom "Wächteramt des Staates". Das Gericht bezieht sich dabei auf Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG, wonach die "staatliche Gemeinschaft" über die Ausübung elterlicher Pflichten wacht. Die Karlsruher Richter betonen jedoch, dass nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit den Staat berechtige oder verpflichte, den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder zu entziehen oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen.
Zitat
"Vielmehr ist stets dem grundsätzlichen Vorrang der Eltern vor dem Staat Rechnung zu tragen."
Die Hürden für staatliches Einschreiten sind vergleichsweise hoch: Nur wenn das Kindeswohl nachhaltig gefährdet ist, darf der Staat sein Wächteramt ausüben. Der Staat darf nicht auf eine bessere Pflege oder Erziehung des Kindes hinwirken.
Je nachdem, welche Regelung der Verfassungsgesetzgeber zu Kinderrechten trifft, könnte diese jedenfalls mittelbar Folgen für das Verhältnis von primärer Elternverantwortung und dem – bislang sehr engen – staatlichem Wächteramt haben.
Wird das Grundgesetz zum Beispiel durch eine Bestimmung zur Förderung von Kindern ergänzt (etwa: "Jedes Kind hat das Recht auf Förderung seiner Entwicklung."), könnte dies als Ausweitung des staatlichen Wächteramtes interpretiert werden. Auch eine Regelung, die die Bedeutung des Kindeswillens und die wachsender Selbstständigkeit des jungen Menschen hervorhebt, könnte Folgen für die Reichweite des Wächteramtes haben. So ist zu bedenken, dass mehr Entscheidungsfreiheit für das Kind nicht zwangsläufig zu mehr Autonomie, sondern ggf. zu einer Übernahme von Verantwortung durch den Staat oder die Gerichte führt.
Kurz und knapp: Der Staat darf sich nach geltender Verfassungsrechtslage in die Erziehung und Sorge für die Kinder nur ausnahmsweise einmischen, falls das Wohl der Kinder gefährdet ist, weil die in erster Linie verantwortlichen Eltern ihren Pflichten nicht nachkommen. Je nachdem, welche Regelung der Verfassungsgesetzgeber zu Kinderrechten trifft, könnte dies den Rahmen für staatliche Wächtermaßnahmen erweitern.