Fragen und Antworten zum Vorhaben expliziter verfassungsrechtlicher Verankerung
1. Was sieht der Koalitionsvertrag zum Thema Kindergrundrechte vor?
Nach dem Koalitionsvertrag sollen Kinderrechte explizit im Grundgesetz verankert werden. Entsprechende Forderungen gab es seit langem, schon bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes wurde darüber diskutiert. Mit der Koalitionsvereinbarung ist nunmehr klargestellt, dass das Grundgesetz um eine Regelung zu Kindergrundrechten ergänzt werden soll. Warum dies geschehen soll, wird nicht ausgeführt. Der Hinweis "Kinder sind Grundrechtsträger, ihre Rechte haben für uns Verfassungsrang" beschreibt die aktuelle Verfassungslage, lässt aber offen, welcher Regelungsbedarf nach Ansicht der Koalitionspartner besteht. Unterschiedliche Aussagen werden zu der Frage getroffen, was konkret in die Verfassung geschrieben werden soll. Zum einen heißt es im Plural: "Wir werden Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich verankern." An anderer Stelle heißt es im Singular: "Wir werden ein Kindergrundrecht schaffen."
Der Koalitionsvertrag lässt damit Interpretationsspielraum, ob die aktuelle Verfassungslage im Grundgesetztext verdeutlicht oder neue Grundrechte für Kinder eingeführt werden sollen. Für die Ausgestaltung des Projekts "Kindergrundrechte" wurde entsprechend den Vorgaben des Koalitionsvertrages eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt, die in den vergangenen Monaten mehrfach zusammengekommen ist und bis spätestens Ende des Jahres einen Vorschlag vorlegen soll.
Kurz und knapp: Der Koalitionsvertrag bestimmt das "Ob", nicht aber das "Warum" und das "Wie" einer ausdrücklichen Regelung zu Kinderrechten im Grundgesetz.
2. Für welche Rechtsbereiche spielt die Diskussion über die verfassungsrechtliche Verankerung von Kinderrechten eine Rolle?
Da die Grundrechte nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf die gesamte Rechtsordnung ausstrahlen, sind auch die grundrechtlich geschützten Belange von Kindern umfassend zu berücksichtigen. Es geht also nicht nur um Regelungen der Kinder- und Jugendhilfe.
Rechtlich und politisch besonders sensibel sind jene Gebiete, auf denen durch die explizite Verankerung von Kindergrundrechten Spannungen oder Kollisionen mit den Rechten anderer Grundrechtsträger möglich sind. So können Selbstbestimmungs- und Beteiligungsrechte des Kindes mit den grundrechtlich geschützten Elternrechten (siehe dazu unten unter 10.) in Konflikt geraten, sei es bei der religiösen Erziehung, bei Entscheidungen über körperliche und medizinische Behandlungen oder bei Sorge- und Umgangsentscheidungen. Darüber hinaus können Grundrechte Dritter oder auch öffentliche Belange betroffen sein, etwa im Bau-, Planungs-, Umwelt- und Verkehrsrecht oder im Aufenthaltsrecht.
Die Diskussion über Kindergrundrechte hat außerdem Berührungspunkte zum Wahlrecht, da auch Fragen demokratischer Teilhabe von Kindern und deren Mitbestimmung an politischen Entscheidungen thematisiert werden. Nicht zuletzt sind auch finanzielle Folgen zu bedenken. Da aus den Grundrechten staatliche Schutzpflichten und gegen den Staat gerichtete Teilhaberechte erwachsen können, ist bei dem Vorhaben "Kindergrundrechte" auch an potentielle Kosten zu denken, vor allem für den Fall, dass Leistungsrechte zur Förderung von Kindern eingeführt werden.
Kurz und knapp: Normierungen zu Kinderrechten im Grundgesetz strahlen potentiell auf die gesamte Rechtsordnung aus. Zu bedenken sind mögliche Folgen für Elterngrundrechte, Grundrechte Dritter und staatliche Verpflichtungen, auch finanzieller Art.
3. Ist die Verankerung spezieller Kinderrechte im Grundgesetz rechtlich geboten?
Nein, es besteht Einigkeit darüber, dass es keine rechtliche Verpflichtung gibt, spezielle Kinderrechte verfassungsrechtlich festzuschreiben. Eine entsprechende Grundgesetzänderung ist weder aufgrund internationaler Verpflichtungen geboten – etwa nach dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes, kurz UN-Kinderrechtskonvention – noch durch nationale Vorgaben, etwa solche des Bundesverfassungsgerichts. Maßgeblich für das Vorhaben, Kinderrechte explizit im Grundgesetz zu verankern, sind vielmehr politische Erwägungen.
Kurz und knapp: Eine rechtliche Notwendigkeit, Kinderrechte im Grundgesetz abzubilden, besteht nicht.
4. Welche Rechte haben Kinder aktuell nach dem Grundgesetz?
Die Grundrechte des Grundgesetzes gelten nach heutigem Verständnis unterschiedslos für jedes Alter (zur Getung von Kinderrechten für das ungeborene Leben siehe unten unter 5.). Kinder und Erwachsene sind gleichermaßen Rechtssubjekte und Grundrechtsträger. Nach dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 ("Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.") könnte man allerdings meine...