Gleichzeitig Anmerkung zu BGH v. 22.5.2019 – XII ZB 613/16

Einführung

Die Berechnung des Unterhalts, den ein Unterhaltspflichtiger an mehrere Berechtigte zu bezahlen hat, gehört zum unterhaltsrechtlichen Alltagsgeschäft. Dabei wird normalerweise der Unterhalt aller Berechtigten gleichzeitig berechnet. Es gibt aber auch Fallgestaltungen, in denen die Berechnung zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgt. Der Beitrag soll dazu dienen, diese Fallvarianten einer näheren Betrachtung zu unterziehen unter Berücksichtigung der aktuellen Entscheidung des BGH v. 22.5.2019 – XII ZB 613/16.[1]

[1] FamRZ 2019, 1415.

A. Unterhaltsleistungen bei gleichzeitiger Berechnung

Muss der Unterhaltspflichtige mehrere Unterhaltsverpflichtungen erfüllen, ergibt sich eine Rangfolge unter diesen aus § 1609 BGB.[2] Daraus folgt, dass die Ansprüche von minderjährigen Kindern und ihnen insoweit gleichgestellten privilegierten Volljährigen nach § 1609 Nr. 1 BGB zuerst erfüllt werden müssen. Nur wenn danach noch verfügbare Finanzmittel des Unterhaltspflichtigen vorhanden sind, ist für Ansprüche aus Ehegattenunterhalt, die gem. § 1609 Nr. 2 oder Nr. 3 BGB im Rang nachfolgen, noch Raum. Sind also Ansprüche auf Ehegattenunterhalt und Minderjährigenunterhalt zu erfüllen, kann der Ehegatte aufgrund seines schlechteren Ranges folglich nur insoweit Unterhalt beanspruchen, als nach Abzug des gesamten Minderjährigenunterhalts und des angemessenen Selbstbehaltes gegenüber Ehegatten noch Finanzmittel des Unterhaltspflichtigen zur Verfügung stehen. Ist dies nicht der Fall, geht er leer aus.

Die Verteilung der für die Unterhaltsleistungen zur Verfügung stehenden Mittel zwischen gleichrangigen Unterhaltsberechtigten ist in § 1609 BGB nicht geregelt. Während gleichrangig Unterhaltsverpflichtete nach § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen haften, bleibt es für gleichrangig Unterhaltsberechtigte bei der Regelung des § 1603 Abs. 1 BGB, wonach bei der Feststellung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen gegenüber jedem einzelnen Bedürftigen seine sonstigen Verpflichtungen berücksichtigt werden müssen. Die einzelnen gleichrangigen Unterhaltsansprüche beschränken sich dabei gemäß § 1603 Abs. 2 BGB gegenseitig, sodass sie verhältnismäßig gekürzt werden müssen. Diese Kürzung erfolgt grundsätzlich proportional zu dem Unterhaltsbedarf der einzelnen Bedürftigen. Danach ist also zunächst zu prüfen, welcher Unterhaltsanspruch jedem Berechtigten bei voller Leistungsfähigkeit des Verpflichteten zustehen würde. Sodann ist jeder Anspruch in dem Verhältnis zu kürzen, in dem die verfügbaren Mittel zu der Summe aller Ansprüche stehen.[3] Wird also beispielsweise der Unterhalt für mehrere minderjährige Kinder gleichzeitig festgesetzt und reicht das Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils nicht aus, die Ansprüche aller Kinder in voller Höhe zu erfüllen (sog. Mangelfall), wird der nach Abzug des Selbstbehaltes verbleibende Einkommensbetrag zwischen den Kindern im Verhältnis ihrer Unterhaltsansprüche aufgeteilt.

Bei gleichzeitiger Berechnung des Unterhalts aller Beteiligten ergeben sich dabei keine zusätzlichen – auch verfahrensrechtlichen – Schwierigkeiten.

[2] Staudinger/Klinkhammer, BGB (2018), § 1603 Rn 200; vgl. auch BGHZ 192, 45 = FamRZ 2012, 281 Rn 37 zu § 1581 BGB.

B. Unterhaltsleistungen bei nicht gleichzeitiger Festsetzung

Anders ist die – in der Praxis nicht seltene – Situation, wenn z.B. mehrere minderjährige Kinder ggf. aus unterschiedlichen Beziehungen Unterhaltsansprüche haben, über die nicht zeitgleich entschieden wird, und das Einkommen des unterhaltspflichtigen Elternteils nicht ausreicht, den für jedes Kind nach der Düsseldorfer Tabelle errechneten Unterhalt voll zu zahlen.

Beispielfall:

Der Kindesvater ist seinem aus erster Ehe stammenden, am 3.1.2017 geborenen Kind K 1 zu Unterhaltszahlungen verpflichtet. Am 2.6.2019 wird das Kind K 2 geboren, das ebenfalls Unterhalt einfordert.

Das Einkommen des Vaters reicht nicht aus, den nach seinem Einkommen angemessenen Unterhalt in Höhe des Mindestsatzes der Düsseldorfer Tabelle für beide Kinder zu zahlen.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist weiter, dass für das Kind K 1 bis zum Zeitpunkt der Geburt von K 2 ein deutlich höherer Unterhalt geschuldet war als nach diesem Zeitpunkt, von dem ab die Finanzmittel des Vaters nicht ausreichen, die Unterhaltsansprüche beider Kinder voll zu decken.

Beispielfall:

 
Bisherige Unterhaltsberechnung allein für K 1  
Einkommen Vater 1.400,00 EUR
gezahlter Unterhalt für K1 252,00 EUR
   
Aktuelle Unterhaltsberechnung für K 1 und K 2  
Einkommen Vater 1.400,00 EUR
Tabellenunterhalt für K 1 252,00 EUR
Tabellenunterhalt für K 2 252,00 EUR
verbleiben 896,00 EUR

Da sein Selbstbehalt unterschritten wird, ist der Vater nicht in der Lage, aktuell seinen beiden Kindern den vollen Tabellenunterhalt zu zahlen.

Abstrakt stellt sich hier die Frage, ob und unter welchen Umständen für die Bestimmung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen der volle Unterhaltsbedarf eines anderen Berechtigten heranzuziehen ist.

Bei der B...

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