Gabriele Ey
Mit der Anbindung der Justiz an das besondere elektronische Anwaltsfach (beA), der Schaffung der Technik für eine mündliche Verhandlung per Videokonferenz und der Einführung der elektronischen Akte stellt sich die Justiz den Herausforderungen der digitalen Welt. Auf dem Wege dorthin werden noch viele Hürden zu überwinden sein. Durch die Corona-Krise sind die Chancen, die die IT-Technik bietet, für ein breites Publikum erfahrbar geworden. Auch in der Justiz, die in Sachen Digitalisierung Einiges aufzuholen hat, führt die Krise zu einer Beschleunigung der Entwicklung. Durch den Einsatz von IT-Technik sollen zeitnahe und verbesserte Kommunikationsstrukturen geschaffen werden. Niemand weiß, wie sich die Corona-Krise in den kommenden Monaten entwickeln wird. Steht zu befürchten, dass die Gerichte – wie im April/Mai des Jahres – wiederum Verhandlungen vertagen müssen, um das Ansteckungsrisiko für alle Beteiligten zu minimieren? Reichen Hygiene-Maßnahmen aus, um im Gerichtssaal verhandeln zu können? Oder zeigt die Technik andere Lösungen auf?
Eine Videokonferenz ist in allen Familiensachen, auch bei der Erörterung in Kindschaftssachen, seit langem zulässig (§§ 113 Abs. 1, 32 Abs. 3 FamFG, § 128a ZPO). Sie dient auch außerhalb des Infektionsschutzes u.a. dazu, Reisekosten und Arbeitszeit einzusparen oder anwaltliche Terminkollisionen zu reduzieren (vgl. im Einzelnen Greger, FF 2020, 387 ff.; Frank, FuR 2020, 331 ff.; Kroiß/Poller, Rechtsprobleme durch COVID-19 in der anwaltlichen Praxis; Socha, FamRZ 2020, 731). Der verstärkte Einsatz von Videoverhandlungen im Zivilprozess wird jüngst von vielen Seiten gefordert, so auch in einer Initiativstellungnahme des Deutschen Anwaltvereins (DAV) aus September 2020 mit praktischen, technischen und rechtlichen Vorschlägen (Stellungnahme Nr.: 57/2020, abrufbar auf https://anwaltverein.de). Auch der Deutsche Richterbund meint, die Corona-Krise solle Anlass für einen Digitalisierungsschub in der Justiz sein.
Familiensachen eignen sich für eine Videoverhandlung (vgl. hierzu im Einzelnen Greger, FF 2020, 387 ff.). Neben unstreitigen Scheidungen gibt es Fälle, etwa Zugewinn- oder Versorgungsausgleichssachen, in denen es um überschaubare Tatsachen- oder Rechtsfragen geht, die schriftlich umfassend aufbereitet worden sind und abschließend per Videokonferenz erörtert werden können. Auch in Kindschaftssachen wird man die Möglichkeiten der Technik nutzen können, wie ich kürzlich in einem Sorgerechtsverfahren erfahren durfte, in dem wir die wegen Corona-Verdachts in Quarantäne befindliche Verfahrensbeiständin sowohl bei der Anhörung eines technikaffinen Gymnasiasten als auch bei der anschließenden Erörterung in den Gerichtssaal zugeschaltet haben. Der Junge, der natürlich durch ein Gespräch mit seiner Verfahrensbeiständin und seinen Eltern auf die Situation vorbereitet worden war, war beeindruckt, als erster im OLG Köln eine Videoverhandlung in Familiensachen zu erleben. Auch die übrigen Verfahrensbeteiligten einschließlich der Verfahrensbeiständin fanden die Verfahrensgestaltung gut, mit der eine Verzögerung des eiligen Verfahrens um den Ort des Schulbesuchs des Jungen vermieden worden ist.
Die Justizverwaltungen werden die notwendige Technik für den Einsatz von Videokonferenzen schaffen und sich dabei untereinander und auch mit der Anwaltschaft abstimmen. Richterinnen und Richter werden mit viel Fingerspitzengefühl geeignete Verfahren für eine Videokonferenz auswählen müssen. Noch längst nicht alle Gerichte verfügen über die nötige Hard- und Software, um Videokonferenzen aus dem Gerichtssaal abzuhalten. Noch längst nicht alle Richterinnen und Richter sind von den Vorteilen der Digitalisierung überzeugt. Durch Präsentationen vor Ort und Fortbildungsmaßnahmen wird man die Kolleginnen und Kollegen dafür gewinnen können, die neue Technik auszuprobieren und anzuwenden. Videokonferenzen bestimmen inzwischen das alltägliche Bild in vielen Lebensbereichen, in den Medien, den Universitäten und in der Anwaltschaft.
Auch wenn die Justiz noch in der Pilotierungsphase ist: Wir sind auf einem guten Weg … !
Autor: Gabriele Ey
Gabriele Ey, Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Köln
FF 11/2020, S. 425