Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Helling-Plahr, Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/30363 – BT-Drucksache 19/30895 v. 22.6.2021
Vorbemerkung der Fragesteller
Das heutige Familienverständnis hat sich aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen stark verändert. Vielfach gehen beide Elternteile einer Erwerbstätigkeit nach und teilen sich Kinderbetreuung und Hausarbeit (NZFam 2014, 585). Auch nach Trennung und Scheidung der Eltern befürwortet eine breite Mehrheit der Bevölkerung eine gemeinsame Kinderbetreuung (vgl. Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 7255 (2017), S. 16, Schaubild 11). Es ist deshalb nach Ansicht der Fragesteller davon auszugehen, dass das gemeinsame Erziehen nach einer Trennung in Zukunft noch weiter an Bedeutung gewinnen wird.
Das Wechselmodell, verstanden als eine Betreuungsregelung, die beide Eltern auf Augenhöhe an der Erziehung des gemeinsamen Kindes nach Trennung und Scheidung beteiligt, wird im deutschen Familienrecht jedoch nicht abgebildet. Die Rechtsprechung orientiert sich weiterhin regelmäßig am Leitbild des Residenzmodells, weil dieses Anknüpfungspunkt zahlreicher rechtlicher Regelungen (§ 1606 des Bürgerlichen Gesetzbuchs [BGB] Unterhalt, § 1687 BGB Alltagssorge, § 1629 BGB Vertretungsbefugnis) ist. Bei der Anwendung des vereinbarten oder angeordneten paritätischen Wechselmodells treten in der Praxis daher nach Ansicht der Fragesteller Probleme auf, für die das deutsche Familienrecht zunächst keine Lösungen bereithält.
1. Ist nach Auffassung der Bundesregierung das gegenwärtige Leitbild des Residenzmodells mit Blick auf die gesellschaftliche Entwicklung noch zeitgemäß (bitte begründen)?
Das geltende Recht lässt schon heute unterschiedliche Ausgestaltungen bei den Betreuungsleistungen beider Eltern zu. Das gilt beispielsweise für das Unterhaltsrecht, weil die Rechtsprechung, ausgehend von den offen formulierten Tatbeständen des Gesetzes, im jeweiligen Einzelfall für eine angemessene Lastenverteilung zwischen den Eltern sorgen kann. Das gilt gleichermaßen im Kindschaftsrecht: Auch nach Trennung und Scheidung verbleibt es bei der gemeinsamen elterlichen Sorge. Das Kind hat ein Recht auf Umgang mit beiden Elternteilen, jedes Elternteil hat ein Recht auf Umgang mit dem Kind. Die Regelung des Lebensmittelpunktes und der Betreuung des Kindes bleibt grundsätzlich Sache beider Eltern. Zwar lebt das Kind in den meisten Fällen überwiegend bei einem Elternteil, gesetzlich vorgegeben wird dies aber nicht. Vielmehr steht es den Eltern frei, sich auf diese oder eine andere für ihre Familie passende Betreuungsform zu verständigen. Auch die gerichtliche Anordnung einer Betreuungsform ist möglich. Dies gilt ebenfalls für das Wechselmodell (BGHZ 214, 31). In dieser Weise wird die paritätische Kinderbetreuung nach Trennung und Scheidung der Eltern bereits heute ermöglicht.
2. Hat die Bundesregierung im Verlauf dieser Wahlperiode neue Erkenntnisse darüber erlangt, wie Familien nach Trennung oder Scheidung heute leben und leben möchten, und was das Beste für die Kinder ist, und wenn ja, welche?
Welcher gesetzgeberische Handlungsbedarf ergibt sich nach Auffassung der Bundesregierung daraus?
Wenn nein, wieso nicht?
Auch im Verlauf dieser Wahlperiode hat sich bestätigt, dass Familien in ganz unterschiedlichen Formen zusammenleben. Hierzu zählen Familien mit verheiraten Eltern, nichteheliche Lebensgemeinschaften, Stief- und Patchworkfamilien ebenso wie gleichgeschlechtliche Beziehungen. Diese Vielfalt familiärer Lebensformen ist zu achten. Welche Lebensform die beste für die Kinder ist, ist eine Frage, die sich nicht pauschal beantworten lässt. Stets kommt es auf die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen an. Das Familienrecht muss der gelebten Vielfalt familiärer Lebensformen, die u.a. auch der 9. Familienbericht "Eltern sein in Deutschland" darstellt, Rechnung tragen. Insoweit wird gesetzgeberischer Handlungsbedarf fortwährend geprüft. Im Übrigen wird auf die Antwort zu den Fragen 4 bis 6 Bezug genommen.
3. Hat die Bundesregierung Kenntnis über internationale Studien im Hinblick auf das Wohlbefinden von Kindern im Wechselmodell, und wenn ja, welche Studien sind ihr bekannt?
Zu welchen Ergebnissen gelangen die Studien?
Ergibt sich daraus aus Sicht der Bundesregierung gesetzgeberischer Handlungsbedarf auch für das deutsche Familienrecht, und wenn nein, wieso nicht?
Der Bundesregierung sind internationale Studien, die die Betreuungsform des Wechselmodells untersuchen, bekannt. Inwieweit diese gesetzgeberischen Handlungsbedarf für das deutsche Familienrecht ergeben, wird geprüft. Zu bedenken ist dabei, dass aufgrund unterschiedlicher Rechtsordnungen von unterschiedlichen Prämissen ausgegangen wird, so dass die Ergebnisse solcher Studien nicht ohne weiteres auf die deutsche Rechtslage übertragbar sind. Nach den bisherigen Ergebnissen einer kürzlich veröffentlichten deutschen Untersuchung zur Bedeutung des Wechselmodell...