BVerfG, Beschl. v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a.

1. Das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) ist Freiheitsrecht im Verhältnis zum Staat, der in das Erziehungsrecht der Eltern nicht ohne rechtfertigenden Grund eingreifen darf. In der Beziehung zum Kind bildet aber das Kindeswohl die maßgebliche Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung.

2. Die Entscheidung über die Vornahme von Impfungen bei entwicklungsbedingt noch nicht selbst entscheidungsfähigen Kindern ist ein wesentliches Element der elterlichen Gesundheitssorge und fällt in den Schutzbereich von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. Bei der Ausübung der am Kindeswohl zu orientierenden Gesundheitssorge für ihr Kind sind die Eltern jedoch weniger frei, sich gegen Standards medizinischer Vernünftigkeit zu wenden, als sie es kraft ihres Selbstbestimmungsrechts über ihre eigene körperliche Integrität wären.

3. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG wird nicht vom Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG erfasst.

OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 31.1.2022 – 4 UF 201/21

1. Eine Anordnung kindesschutzrechtlicher Maßnahmen nach §§ 1666, 1666a BGB kommt nur dann in Betracht, wenn nach Überzeugung des Familiengerichts die tatsächlichen Voraussetzungen der Norm vorliegen, die dies gebieten oder zumindest erlauben; kann das Gericht diese Überzeugung nicht gewinnen, muss die Maßnahme unterbleiben (vgl. BVerfG, FamRZ 2020, 422 Rn 16; BeckOGK/Burghart, BGB, § 1666 Rn 167).

2. Die Frage, ob das Jugendamt ein Tätigwerden des Familiengerichts für erforderlich hält, obliegt gemäß § 8a Abs. 2 S. 1 SGBVIII alleine seinem fachlichen Ermessen und ist deshalb auch nicht der (verwaltungs-)gerichtlichen Kontrolle unterworfen (OLG Frankfurt, ZKJ 2014, 31; vgl. auch Hess. VGH, FamRZ 2013, 409 [LS.]), allerdings geht mit der Anrufung des Familiengerichts die verantwortliche Gefährdungsfeststellung auf dieses über (Staudinger/Coester, BGB, 2020, § 1666 Rn 17 m.w.N.).

3. Angesichts dieser abgestuften, klar strukturierten Aufgabenverteilung kann Gegenstand einer familiengerichtlichen Entscheidung – die ja nach §§ 1666, 1666a BGB die Feststellung einer Kindeswohlgefährdung voraussetzt – nicht mehr sein, das Jugendamt mittels gerichtlicher Anordnungen erst in die Lage zu versetzen, die bereits delegierte Gefährdungsfeststellung doch wieder in eigener Zuständigkeit vorzunehmen.

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