a) Unterhaltsrechtliche Obliegenheiten

Grundsätzlich obliegt es jedem Unterhaltspflichtigen, seine Erwerbsmöglichkeiten auszuschöpfen. Für den Unterhalt sind die erzielbaren Beträge einzusetzen, soweit sie den angemessenen eigenen Unterhalt übersteigen. Damit verbunden ist die Obliegenheit, vermeidbare Ausgaben zu unterlassen, die das für den Unterhalt einsetzbare Einkommen schmälern und aus der Sicht eines objektiven Betrachters unvernünftig sind.

Die Stärke dieser unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten ist – vergleichbar mit der Höhe des zuzugestehenden Selbstbehalts – abhängig von dem konkreten Unterhaltsverhältnis und damit der Wertung des § 1609 BGB. Den höchsten Stellenwert und damit die strengsten Obliegenheiten bestehen mithin im Unterhaltsverhältnis zwischen Eltern und ihren minderjährigen Kindern oder den diesen gleichgestellten privilegiert Volljährigen. Ob und inwieweit im Rahmen der diesen Berechtigten gegenüber anzunehmenden gesteigerten Unterhaltspflicht zusätzlich zu den Einkünften aus einer Vollzeittätigkeit ein Verdienst aus einer Nebentätigkeit angerechnet werden kann, um das Existenzminimum des Kindes sicherzustellen, bedarf allerdings einer umfassenden Prüfung der besonderen Lebens- und Arbeitssituation des Unterhaltspflichtigen, da auch in diesem Unterhaltsrechtsverhältnis "Unmögliches" nicht verlangt werden darf. Zu prüfen sind unter anderem die Gestaltung der Arbeitszeiten, die Wegzeiten, der Kontakt zu den eigenen Kindern[11] sowie die Betreuung weiterer Kinder, die im Haushalt des Unterhaltspflichtigen leben. Die Beurteilung dieser komplexen Zusammenhänge darf grundsätzlich auch nicht im Verfahrenskostenhilfeverfahren vorweggenommen werden.[12]

Die Obliegenheit gegenüber Ehegatten und kinderbetreuenden Elternteilen, die mit dem Unterhaltspflichtigen nicht verheiratet sind, ist demgegenüber graduell bereits deutlich niedriger. Ein Unterhaltspflichtiger hat zwar seine Arbeitskraft nach besten Kräften in dem gesellschaftlich zu erwartenden Umfang zu nutzen, um etwa ein der Lebensstellung der Ehegatten entsprechendes Einkommen zu erzielen. Dieser Erwerbspflicht genügt er in der Regel aber durch Ausübung einer Vollzeittätigkeit in einem seiner Vorbildung, Erwerbsbiografie und körperlichen Fähigkeiten entsprechenden Beruf.

Das Gleiche gilt gegenüber volljährigen, nicht privilegierten Kindern, die sich noch in Ausbildung befinden mit Blick auf deren Rangstelle vier. Dass diese Rangstelle der Bedeutung einer Ausbildung im Leben eines Menschen keinesfalls gerecht wird, sei an dieser Stelle nur nebenbei bemerkt.

Die Erwerbsobliegenheit gebietet grundsätzlich eine Vollzeittätigkeit.[13] Bei nicht vollschichtiger Tätigkeit kann eine Einkommensaufbesserung durch eine Nebenbeschäftigung zumutbar sein.[14] Eine Nebentätigkeit neben einer vollschichtigen Tätigkeit kommt – wie bereits erwähnt – allenfalls bei der gesteigerten Leistungsverpflichtung gegenüber einem minderjährigen Kind oder einem diesem gleichgestellten privilegiert volljährigen Kind gemäß § 1603 Abs. 2 S. 1 und 2 BGB in Betracht.[15] Aber auch dann scheidet eine wöchentliche Gesamtbelastung von mehr als 48 Stunden aus.[16] Vom Unterhaltspflichtigen kann in der Regel auch nicht verlangt werden, gegen eine Untersagung der Nebentätigkeit arbeitsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen.[17]

[11] BGH FamRZ 2009, 314; zum umgekehrten Fall der Berücksichtigung der Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils bei einer Umgangsregelung vgl. OLG Koblenz FamRZ 2023, 294.
[12] OLG Bamberg FamRZ 2022, 801; OLG Stuttgart FamRZ 2022, 526.
[15] BGH FamRZ 2011, 1041.
[16] §§ 3, 9 Abs. 1 ArbZG; BGH FamRZ 2011, 1041.

b) Fiktives Einkommen

Die tragenden Grundsätze des Unterhaltsrechts, nach denen nur bei Bedürftigkeit Unterhalt geltend gemacht werden kann (§§ 1577, 1602 BGB) und bei Leistungsunfähigkeit kein Unterhalt geschuldet wird (§§ 1581, 1603 BGB), stellen nicht allein auf tatsächlich vorhandenes Einkommen ab. Hinterfragt werden müssen auch die Ursachen für die Leistungsunfähigkeit, was im Einzelfall dazu führen kann, dass bei selbstverschuldeter Mittellosigkeit fiktive Einkünfte zuzurechnen sind.

Maßgebend für die Leistungsfähigkeit ist daher nicht nur das tatsächlich verfügbare Einkommen, sondern auch die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit, so dass auch Einkommen heranzuziehen sein kann, das der Unterhaltspflichtige zwar tatsächlich nicht erzielt, unter zumutbarer Ausnutzung seiner Arbeitsfähigkeit aber erzielen könnte. Wird dies unterlassen, muss sich der Unterhaltspflichtige fiktiv das Einkommen zurechnen lassen, welches er hätte erzielen können, wenn er seiner Verpflichtung genügt hätte.[18] Die von der Rechtsprechung insoweit gestellten Anforderungen sind durchaus hoch. Allerdings ist zu beachten, dass sich Entscheidungen im Zusammenhang mit der gegenüber minderjährigen oder privilegiert volljährigen Kindern gesteigerten Erwerbspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB nicht auf den vom Grundsatz der Eigenverantwortung beherrschten nac...

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