Unterlässt ein Unterhaltspflichtiger eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit, die er bei gutem Willen ausüben könnte, sind im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht nur seine tatsächlichen, sondern auch die fiktiv erzielbaren Einkünfte zu berücksichtigen.[47] Wird eine Erwerbstätigkeit leichtfertig aufgegeben oder erfolgen bei bestehender Erwerbslosigkeit nur unzureichende Bemühungen um eine neue Erwerbstätigkeit trotz realistischer Beschäftigungschance, können im erstgenannten Fall die vormals erzielten Einkünfte fiktiv zugerechnet werden, wenn sie bei pflichtgemäßem Verhalten weiterhin erzielt würden,[48] im zweiten Fall die realistisch erzielbaren. Auch wenn ein langjähriger Sozialhilfebezug nicht von der Erwerbsobliegenheit befreit, kann dieser dennoch bei der Frage nach einer realistische Erwerbschance und der Höhe des erzielbaren Einkommens von Bedeutung sein.[49]

Für die zeitliche Zurechnung vormals tatsächlich erzielter Einkünfte besteht grundsätzlich kein allgemeines Zeitlimit. Jedoch kann der Unterhaltspflichtige tatsächliche Umstände einwenden, die einer weiteren fiktiven Anrechnung entgegenstehen können, wie etwa die Insolvenz des früheren Arbeitgebers oder tatsächlich vorgenommene betriebsbedingte Kündigungen anderer Arbeitnehmer, von denen er bei weiterem Verbleib im Unternehmen mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls betroffen gewesen wäre. Auch persönliche Umstände, wie eine gesundheitsbedingte Erwerbseinschränkung, können ggfs. zum selben Ergebnis führen.[50]

[47] BGH FamRZ 2013, 155; BVerfG FamRZ 2014, 1977: Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
[49] BVerfG FamRZ 2021, 274.
[50] Siehe dazu auch BGH FamRZ 2008, 872.

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