Ein Interessenwiderstreit liegt vor, wenn die Interessen der Parteien, die der Anwalt in derselben Rechtssache berät und/oder vertritt bzw. beraten und/oder vertreten hat, ganz oder teilweise konträr sind oder werden können.
Objektiv betrachtet trifft dies auf die Interessen des volljährigen Kindes und beider Elternteile zu. Denn objektiv liegt es im Interesse des Kindes, möglichst lange möglichst hohe Unterhaltsleistungen zu erhalten, während es im objektiven Interesse beider Elternteile liegt, so kurz wie möglich so wenig wie möglich zu zahlen. Die subjektive Seite kann dagegen ganz anders aussehen. In subjektiver Hinsicht hat das Kind häufig ein Interesse daran, nicht nur gut versorgt zu sein, sondern auch eine gute emotionale Bindung zu beiden Elternteilen oder wenigstens zu einem Elternteil (in der Regel zu dem, bei dem es seine Kindheit verbracht hat) zu unterhalten. Und subjektiv wünschen sich viele Eltern eine gute Versorgung des Kindes und ein gutes Einvernehmen mit diesem.
Die Frage, ob bei der Bestimmung des Interesses nur die objektive Interessenlage, also die Beurteilung der Situation aus Sicht eines vernünftigen Dritten, maßgeblich ist, oder ob auch der Wille der Parteien Berücksichtigung findet, der im Einzelfall der objektiven Interessenlage durchaus zuwiderlaufen kann, wird unterschiedlich beantwortet.
a) Die Rechtsprechung
In der Rechtsprechung wird bei der Frage nach einer objektiven oder subjektiven Bestimmung der Interessenlage häufig danach unterschieden, ob der Streitstoff der Verfügung der Parteien unterliegt und der Auftraggeber das dem Anwalt erteilte Mandat durch Weisungen beschränken kann. Vor allem in bürgerlich-rechtlichen Vermögensangelegenheiten, die der Parteidisposition unterlägen, sei der Gegenstand des Interesses subjektiv durch die jeweilige Partei zu bestimmen. Ob ein Interessenwiderstreit vorliege, ergebe sich aus dem Auftrag, den der Rechtsanwalt erhalten habe, da dieser Auftrag den Umfang der Belange bestimme, mit deren Wahrnehmung der Auftraggeber den Anwalt betraue. Maßgeblich seien nicht der wahre Sachverhalt und die wirkliche Rechtslage, sondern die subjektiven Ziele und Begehren der Beteiligten.
Allerdings sind die meisten Entscheidungen stark einzelfallbezogen und deshalb nur begrenzt repräsentativ.
aa) Das Bundesverfassungsgericht hebt in seiner berühmten Sozietätswechsler-Entscheidung deutlich auf die subjektive Einschätzung der Mandanten ab, wenn es formuliert:
Zitat
"Im Interesse der Rechtspflege sowie eindeutiger und geradliniger Rechtsbesorgung verlangt § 43a Abs. 4 BRAO lediglich, dass im konkreten Fall die Vertretung widerstreitender Interessen vermieden wird. Soweit die vom Kanzleiwechsel unterrichteten und beiderseits betroffenen Mandanten einen solchen Widerstreit nicht befürchten und Vertrauen in die getroffenen Vorkehrungen sowie die Verschwiegenheit ihrer Anwälte zeigen, besteht im Interesse der Rechtspflege nur Anlass zum Eingreifen, wenn hierfür sonstige Indizien sprechen, die den Mandanten verborgen geblieben oder von ihnen unzutreffend eingeschätzt worden sind."
Allerdings weist das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich auch darauf hin, dass § 43a Abs. 4 BRAO nicht nur dem Schutz des individuellen Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant und der Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts, sondern darüber hinaus dem Gemeinwohl in Gestalt der Rechtspflege, die auf eine Geradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung angewiesen sei, diene. Alle diese Belange, so das BVerfG, "treten nebeneinander und bedingen einander".
bb) In einem viel beachteten Urt. v. 19.9.2002 vertritt das OLG Karlsruhe die Auffassung, dass ein Rechtsanwalt, der zunächst beide Eheleute aufgrund deren gemeinsamen Auftrags ausschließlich über die Voraussetzungen und die Herbeiführung der von ihnen übereinstimmend gewollten einverständlichen Scheidung der Ehe sowie den Unterhaltsanspruch beraten und den Unterhaltsanspruch berechnet habe, nicht pflichtwidrig i.S.v. § 356 Abs. 1 StGB handele, wenn er später einen der Ehepartner vertrete und den Unterhaltsanspruch geltend mache. Bei den im Fall einer Scheidungssache disponiblen Rechtsgütern werde der Interessenbegriff vom Willen der Parteien gestaltet und richte sich nach deren subjektiven Zielen. In Ehescheidungssachen stehe es den Ehegatten frei, einverständlich die Voraussetzungen einer Ehescheidung herbeizuführen. Hieraus rechtfertige sich – etwa im Unterschied zum Strafprozess, in dem eine subjektive Disposition des Mandanten über die Interessen nicht möglich sei und nur eine objektive wirkliche Interessenlage entscheide – das subjektive Verständnis des Interessengegensatzes. Im Falle einer einverständlichen Scheidung träten – bei subjektiver Betrachtung – keine entgegengesetzten Interessen auf. Da im konkreten Fall der ursprüngliche Beratungsauftrag von beiden Eheleuten gemeinsam erteilt gewesen sei, sei der Anwalt in der gemeinsamen Besprechung "nicht Diener bzw. Vertreter einseitiger Parteiinteressen, sondern unparteiischer...