In engem Zusammenhang mit der Frage nach der Interessenlage steht die weitere schwierige und kontrovers diskutierte Frage, ob das Einverständnis des/der betroffenen Mandanten mit der Beratung und/oder Vertretung durch denselben Rechtsanwalt (oder zumindest dieselbe Kanzlei) beachtlich ist.
In der Regel wird es nur dogmatisch, nicht aber im Ergebnis einen Unterschied machen, ob man bereits den Interessengegensatz verneint oder diesen annimmt, aber für durch ein beiderseitiges Einverständnis "heilbar" hält. Die Frage nach einer Beachtlichkeit des Einverständnisses stellt sich vom hier vertretenen Standpunkt aus deshalb eigentlich nur in den Fällen, in denen nach (auch) maßgeblicher subjektiver Einschätzung der Parteien nicht bereits der Interessenwiderstreit entfällt.
Aus Platzgründen soll hier nicht auf den Sonderfall des § 3 Abs. 2 S. 2 (und S. 3) BORA, sondern nur auf das einem Einzelanwalt erteilte Einverständnis eingegangen werden. Einzelanwälten ist der "Königsweg" des § 3 Abs. 2 S. 2 BORA verschlossen, weil dieser das Vorliegen einer Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft (gleich welcher Rechts- oder Organisationsform) voraussetzt.
a) Uneinheitliches Meinungsbild
Die Meinungen zur Beachtlichkeit des Einverständnisses gehen auseinander:
aa) Diejenigen, die auf die objektive Interessenlage abstellen, sind üblicherweise auch der Meinung, das Einverständnis der Beteiligten mit dem Vorgehen des Rechtsanwalts könne einen bestehenden Interessengegensatz nicht aufheben.
So führt Feuerich aus, das Verbot der Doppelvertretung unterliege grundsätzlich nicht der Verfügungsmacht der Parteien, weil es nicht nur ihrem Schutz, sondern daneben dem Vertrauen in die Anwaltschaft und in die Funktion der Rechtspflege diene.
bb) Diejenigen, die (auch) auf die subjektive Interessenlage abstellen, nehmen meist an, das Einverständnis der Mandanten könne das entgegengesetzte Interesse und damit die Pflichtwidrigkeit ausnahmsweise (z.B. bei Vergleichsverhandlungen und subjektiven Begrenzungen des Mandats) beseitigen oder stehe der Pflichtwidrigkeit definitiv entgegen, soweit der Streitstoff für die Parteien disponibel sei.
Auch das Bundesverfassungsgericht stellt ja maßgeblich auf den Willen und auf das Einverständnis der Mandanten ab.
cc) Grunewald, die im Zusammenhang mit der Interessenlage einer streng objektiven Sichtweise folgt, verweist bei der Frage nach der Möglichkeit eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses mit guten Argumenten auch für den Einzelanwalt auf den neuen § 3 Abs. 2 S. 2 BORA. Da es keine Rolle spielen könne, wie viele Rechtsanwälte aktiv würden, müsse das Einverständnis der Mandanten auch bei der Einschaltung nur eines Anwalts maßgeblich sein.
dd) Obwohl er auf die subjektive Interessenlage abstellt, geht Henssler davon aus, die Einwilligung der Mandanten beseitige die pflichtwidrige Vertretung widerstreitender Interessen grundsätzlich nicht. Zwar erkläre § 3 BORA nunmehr zu Recht in Sozietätskonstellationen die autonome Entscheidung des Mandanten für erheblich. Im Falle des Einzelanwalts jedoch könne eine solche Dispositionsbefugnis nicht gewährt werden. Es sei einem Anwalt schlichtweg unmöglich, erlangte Informationen aus zwei widerstreitenden Sachverhalten in seiner Person mechanisch zu trennen. Die Wahrnehmung anwaltlicher Aufgaben setze, wie das BVerfG festgestellt habe, den unabhängigen, verschwiegenen und nur den Interessen des eigenen Mandanten verpflichteten Rechtsanwalt voraus. Diese Eigenschaften stünden jedoch nicht zur Disposition des Mandanten. Allerdings könne – und hier rekurriert Henssler wieder auf die subjektiv zu bestimmende Interessenlage – bei gemeinsamer Beauftragung eines Anwalts durch mehrere Mandanten der Mandantenwille gegenläufige Interessen und damit pflichtwidriges Handeln ausschließen.
ee) Auch Deckenbrock ist der Auffassung, dass dem Einverständnis keine rechtfertigende Wirkung zukomme, wenn sich die Parteien mit der Doppelvertretung eines Rechtsanwalts einverstanden erklärten, ohne dass die Gegensätzlichkeit der Interessen beseitigt werde. Innerhalb derselben Person seien die Abschottung von Informationen und deren Trennung ihrer Herkunft nach unmöglich. So könne zumindest ein unbewusster oder nicht beabsichtigter Einsatz sensiblen Wissens zu Lasten eines Mandanten nicht ausgeschlossen werden.