Praxis-Beispiel

"Geschieden, aber trotzdem reicher Erbe"

Der Ehemann hat 2008 in einem eigenhändigen Testament seine Ehefrau zu seiner alleinigen Erbin eingesetzt und bestimmt, "dies gilt auch bei Scheidung unserer Ehe". Nach einer streitigen Scheidung hat der Ehemann geäußert, "meine Geschiedene kriegt nichts mehr von mir". Bei seinem Tod existiert nur das vorgenannte Testament.

Auch nach Scheidung der Ehe bleibt gemäß § 2077 Abs. 3 BGB eine letztwillige Verfügung, durch die der Erblasser seinen Ehegatten bedacht hat, wirksam, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser sie auch für den Fall der Scheidung getroffen haben würde.

Dies gilt nach § 2268 Abs. 2 BGB auch für das gemeinschaftliche Testament und nach § 2279 Abs. 2 BGB für den Erbvertrag.

Durch Auslegung ist der wirkliche Wille, hilfsweise der hypothetische Wille des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung zu ermitteln.[21] Im Fall hat der Erblasser seinen ausdrücklichen Willen, den Ehegatten auch nach Scheidung der Ehe zu begünstigen, zwar widerrufen, der Widerruf ist aber formungültig. Der Widerruf hat nach § 2254 BGB durch Testament zu erfolgen und bedarf dessen Form.

Im Erbscheinsverfahren trifft die Feststellungslast denjenigen, der sich auf die Fortgeltung der Verfügung beruft.

Ist beim gemeinschaftlichen Testament ein "Aufrechterhaltungswille" i.S.d. § 2268 Abs. 2 BGB festgestellt, behalten nach BGH[22] fortgeltende wechselbezügliche Verfügungen auch nach Scheidung ihre Wechselbezüglichkeit und können nicht gemäß § 2271 Abs. 1 S. 1 BGB durch einseitige Verfügung von Todes wegen aufgehoben werden. Diese Entscheidung überzeugt nicht, da der Aufrechterhaltungswille, z.B. Einsetzung der gemeinsamen Kinder zu Schlusserben, über die Scheidung der Ehe hinaus nicht auch als wechselbezüglich ausgelegt werden kann.[23] Zu empfehlen ist der gemeinsame Widerruf des gemeinschaftlichen Testaments seinem gesamten Inhalt nach und die Errichtung neuer Einzeltestamente durch jeden Ehegatten.

[21] BGH FamRZ 1960, 28; 1961, 366; BayObLG FamRZ 1993, 362.
[22] NJW 2004, 3113.
[23] Muscheler, DNotZ 1994, 733; Keim, ZEV 2004, 425; Kanzleiter, ZEV 2005, 181.

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