I. Regelungsbedarf
1. Ist die Ehe gescheitert und regeln die Ehegatten die vermögensrechtlichen Folgen der Scheidung ihrer Ehe einvernehmlich mit einer Scheidungsfolgenvereinbarung oder einer Getrenntlebensvereinbarung über den Zugewinnausgleich, gegebenenfalls über die Vermögensauseinandersetzung im Übrigen und der gemeinsamen Verbindlichkeiten, über den nachehelichen Ehegattenunterhalt, den Versorgungsausgleich und über den Kindesunterhalt, werden die erbrechtlichen Konsequenzen des Todes eines Ehegatten vor Rechtskraft der Scheidung häufig nicht bedacht, die auch dann einschneidend sein können, wenn kurzfristig Antrag auf Scheidung der Ehe gestellt wird. Die Notwendigkeit flankierender erbrechtlicher Maßnahmen besteht weit mehr bei einer Getrenntlebensvereinbarung ohne aktuelle Scheidungsabsicht.
Von seltenen Ausnahmen abgesehen will der Ehegatte als Erblasser jede Teilhabe des anderen Ehegatten an seinem Nachlass ab sofort, also nicht erst mit Rechtskraft der Scheidung, ausgeschlossen wissen.
2. Die Praxis zeigt, dass die Ehegatten nicht selten als nahezu selbstverständlich davon ausgehen, mit ihrer ehevertraglichen Vereinbarung nach der Trennung sei bei ihrem Tod jede Teilhabe des anderen Ehegatten ausgeschlossen. Rechtsberater (Rechtsanwalt, Notar) neigen dazu, diesen Themenkreis auszuklammern, weil die Wahrscheinlichkeit des Todes eines Ehegatten vor rechtskräftiger Scheidung als gering eingeschätzt wird. Ist die Scheidung beantragt, vertrauen sie auf den vorzeitigen Ausschluss des gesetzlichen Ehegattenerbrechts nach § 1933 BGB, eine Vorschrift mit unterschätzten formellen und materiellen Voraussetzungen, die häufig bei Abschluss der Scheidungsvereinbarung nicht vorliegen, jedenfalls nicht bei Abschluss der Getrenntlebensvereinbarung.
3. Die Notwendigkeit flankierender erbrechtlicher Maßnahmen zeigt folgendes Beispiel:
Beispiel:
Martin (M) und Franzi (F) haben eine Scheidungsvereinbarung getroffen, mit der u.a. M zum Ausgleich des Zugewinns seinen hälftigen Miteigentumsanteil am Familienwohnheim auf F übertragen hat, jedoch ohne Vereinbarung der Gütertrennung. Bevor Antrag auf Scheidung gestellt ist, stirbt M. Ein Testament existiert nicht. Sein Nachlassvermögen beträgt 450.000 EUR, hierin enthalten 100.000 EUR, die M kürzlich im Lotto gewonnen hat. M hat seinen Söhnen A und B versichert, sie würden seine alleinigen Erben.
Da die Voraussetzungen des § 1933 BGB zum Ausschluss des gesetzlichen Ehegattenerbrechts nicht vorliegen, ist F gesetzliche Miterbin des M, und zwar, da keine Gütertrennung vereinbart wurde, zu ½ Anteil.
Vorwürfe der Söhne an den Rechtsberater sind berechtigt:
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Die gebotene Vereinbarung der Gütertrennung hätte zumindest die gesetzliche Erbquote der F nach § 1931 Abs. 4 BGB von ½ auf ⅓ Anteil und damit ihre Pflichtteilsquote auf verkürzt. |
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M hat es versäumt, seine Söhne testamentarisch zu seinen alleinigen Erben einzusetzen oder die F zu enterben. |
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Wird F aufgrund eines Testaments des M zugunsten seiner Söhne nicht Erbin, kann sie nach § 1371 Abs. 2 BGB neben dem Ausgleich des Zugewinns des M (100.000 EUR) in Höhe von 50.000 EUR den Pflichtteil aus dem (nicht erhöhten) gesetzlichen Erbteil von ¼, also in Höhe von 100.000 EUR von den Erben verlangen. Sie erhält aus dem Nachlass insgesamt 150.000 EUR. |
Variante zum Ausgangsfall:
Es existiert ein gemeinschaftliches Testament, in dem sich Martin und Franzi gegenseitig zum alleinigen Erben eingesetzt haben.
§ 2077 Abs. 2 S. 2 BGB übernimmt die Regelung des § 1933 BGB für letztwillige Verfügungen, mit denen der Erblasser seinen Ehegatten bedacht hat. § 2268 Abs. 1 BGB verweist bei einem gemeinschaftlichen Testament, § 2279 Abs. 2 BGB bei einem Erbvertrag auf § 2077 BGB. Sind die Voraussetzungen des § 1933 BGB im Zeitpunkt des Todes des Erblassers erfüllt, ist die letztwillige Verfügung zugunsten des Ehegatten unwirksam (§ 2077 Abs. 1 BGB). Sind sie nicht erfüllt, bleibt die Verfügung von Todes wegen trotz Scheiterns der Ehe bis zur Rechtskraft der Scheidung wirksam.
F ist in diesem Fall sogar Alleinerbin des M.
4. Bei der Scheidungsvereinbarung ist die Frage an die Ehegatten unverzichtbar, ob eine Verfügung von Todes wegen besteht, mit der ein Ehegatte den anderen bedacht hat, und ob diese gemeinsam widerrufen bzw. ein Erbvertrag aufgehoben werden soll.
Der Widerruf oder die Aufhebung einer früheren Verfügung von Todes wegen reicht aber auch hier nicht aus, da nun die gesetzliche Erbfolge gilt. Daneben bleibt ein neues Testament zwingend erforderlich, mit dem der Ehegatte enterbt wird. Wird der Ehegatte des Erblassers durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen, kann er von dem Erben nach § 1371 Abs. 2 BGB jedenfalls den "kleinen" Pflichtteil, gegebenenfalls zusätzlich Zugewinnausgleich verlangen.
II. Das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht des Ehegatten
Vor Rechtskraft der Scheidung bzw. bevor die Voraussetzungen des § 1933 BGB erfüllt sind, die bereits zum Ausschluss des Ehegattenerbrechts führen, ist der Ehegatte gemäß § 1931 BGB gesetzlicher Erbe.
1. Leb...