1. Das Alter ist im Rahmen des Betreuungsunterhalts für sich allein kein Kriterium mehr. Vielmehr kommt es entscheidend auf individuelle Umstände an, z.B. die bestehenden Möglichkeiten der Kindesbetreuung, Belange des Kindes, Rollenverteilung zwischen den Eltern in der Ehe sowie die Praktizierung dieser Verteilung.
2. Bei den kindbezogenen Gründen gilt Folgendes:
a) Überzogene Anforderungen an die Darlegung dieser Gründe dürfen nicht gestellt werden. Allerdings reichen pauschale Hinweise auf Krankheit oder besondere Bedürfnisse nicht aus; vielmehr sind die Auswirkungen in Bezug auf eine Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Kindesbetreuung konkret darzulegen.
b) Hinsichtlich der Aktivitäten des Kindes ist zu klären, was schon früher ausgeübt wurde und was jetzt ggf. neu ist, des Weiteren, wie dies im Verhältnis zur Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils steht. Zu prüfen sind die Möglichkeiten von Einschränkungen ebenso wie eine geänderte Organisation.
c) Die Vereinbarkeit von Kindesbetreuung und Erwerbstätigkeit sollte konkret anhand eines "Tagesplans" überprüft werden, Besonderheiten (z.B. in Form von Schichtdienst oder eingeschränkter Öffnungszeiten) sind zu berücksichtigen. Gerade bei der Betreuung mehrerer Kinder ist die Gefahr einer überobligatorischen Belastung des Elternteils zu vermeiden. Bei Inanspruchnahme der Hilfe dritter Personen kommt u.U. ein Billigkeitsabzug vom Einkommen in Betracht.
3. Zu den elternbezogenen Gründen gilt: Die Rollenverteilung in der Ehe und ein daraus resultierender Vertrauenstatbestand sind, auch unter Berücksichtigung der Ehedauer, von Bedeutung. Es ist zu klären, ob die Erwerbspause Gründe hatte, die im Interesse des Kindes lagen oder eher dem Interesse des betreuenden Elternteils entsprachen. Bei Angeboten des anderen Elternteils auf erweiterte Übernahme der Betreuung (z.B. im Rahmen des Umgangs) ist die Ernsthaftigkeit dieses Angebotes unter Beachtung des Kindeswohls zu prüfen.
4. Als Ergebnis ist festzuhalten, auch wenn es mehr Arbeit macht: Die pauschale Betrachtungsweise beim Betreuungsunterhalt ist endgültig "tot" – es lebe der Einzelfall!
Der Autor ist Mitglied der Aderhold Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Dortmund, und Honorarprofessor der Universität Bochum. Der Aufbau des Beitrags entspricht der in den Vorjahren (zuletzt: FF 2011, 431) gewählten Darstellung. – Der Beitrag ist Herrn VRiOLG Werner Reinken zum Eintritt in den Ruhestand zugeeignet.
Autor: Prof. Dr. Winfried Born , Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht, Dortmund
FF 1/2015, S. 7 - 20