1. Hintergrund
Der Mindestunterhalt als Bezugsgröße für den Unterhalt minderjähriger Kinder wurde erst im Jahr 2008 mit der Neufassung von § 1612a BGB durch die Unterhaltsrechtsreform 2008 geschaffen. Rein formal betrachtet, leitet sich der Mindestunterhalt aus dem steuerlichen Existenzminimum nach § 32 Abs. 6 EStG und dem dort geregelten Kinderfreibetrag ab (§ 1612a Abs. 1 Satz 2 BGB a.F.). Aus den Gesetzesmaterialien zur Unterhaltsrechtsreform 2008 ergibt sich jedoch, dass der Reformgesetzgeber schon damals das sächliche Existenzminimum nach dem Existenzminimumbericht als die eigentlich maßgebliche Bezugsgröße angesehen hatte. Das Problem, dass ein Gesetz in rechtstechnischer Hinsicht nicht eine dynamische Verweisung auf einen bloßen Bericht vorsehen kann, wurde seinerzeit dadurch gelöst, dass sich der Gesetzgeber des Einkommensteuerrechts als "Transmissionsriemens" bedient hatte. Damals herrschte allgemein die Meinung vor, der Steuergesetzgeber werde schon dafür sorgen, dass der Wert aus dem jeweils aktuellen Existenzminimumbericht stets zeitnah in das Einkommensteuergesetz übernommen und damit § 1612a Abs. 1 BGB immer den aktuellen Stand wiedergeben wird.
Diese Vorstellung erwies sich jedoch, wie die Praxis seit 2008 gezeigt hat, als ein "frommer Wunsch": Die formale Anknüpfung des Mindestunterhalts an das Steuerrecht hat, wie die Bundesregierung in den Gesetzesmaterialien schreibt, "zu Divergenzen geführt". Das ist eine äußerst diplomatische, verschleiernde Formulierung: Denn tatsächlich hat die Verknüpfung des Mindestunterhalts mit dem Steuerrecht der Unterhaltspraxis ganz erhebliche Unzuträglichkeiten und Probleme bereitet. Der Grund hierfür liegt darin, dass eine Änderung der Steuer- und Sozialhilfesätze stets große finanz- und sozialpolitische Auswirkungen hat und demgemäß politisch regelmäßig höchst umstritten ist.
Deshalb stellte sich die Unterhaltspraxis, sobald in der Vergangenheit ein neuer Existenzminimumbericht der Bundesregierung vorgelegt wurde, jedes Mal aufs Neue die Frage, wann die Zahlen aus dem Existenzminimumbericht Eingang in das Einkommensteuergesetz finden würden, damit über die dynamische Verweisung eine Anpassung des Mindestunterhalts nach § 1612a BGB erfolgt. Bisweilen ergaben sich hierbei deutliche, mehrmonatige Diskrepanzen oder der Gesetzgeber hat sich aus politischen Gründen nicht an die Werte des Existenzminimumberichts gehalten. Weiter bestand die – im Sommer 2015 dann auch tatsächlich eingetretene – Gefahr, dass der Steuergesetzgeber die steuerlichen Freibeträge, was steuerrechtlich ohne weiteres möglich ist, erst im laufenden (Steuer-) Jahr anpassen könnte und der Anpassung Rückwirkung auf den Beginn des laufenden Jahres beilegt:
Im Vorfeld der im Juni 2015 beschlossenen rückwirkenden Anhebung des steuerlichen Kinderfreibetrags per 1.1.2015 wurde deshalb auch intensiv diskutiert, wie eine rückwirkende Erhöhung des Kindesunterhalts und die damit einhergehende Verunsicherung der Unterhaltspraxis vermieden werden kann. Dass das schlussendlich gut gelungen ist, ändert nichts daran, dass die rückwirkende Anpassung des steuerrechtlichen Kinderfreibetrages die Unterhaltspraxis, insbesondere aber auch die Jugendämter und Unterhaltsvorschussstellen, unnötig verunsichert hat. Und schließlich ist daran zu erinnern, dass im September 2013, vor den Wahlen zum 18. Deutschen Bundestag, von der Politik in Aussicht gestellt wurde, den steuerlichen Kinderfreibetrag auf das Niveau des Freibetrags für Erwachsene anzuheben – eine Ankündigung, die Zweitfamilien und Geschiedene in helle Aufregung versetzte, weil offenbar übersehen wurde, dass die vermeintliche Wohltat für unterhaltsberechtigte Kinder zu einer massiven Belastung der Unterhaltspflichtigen führen würde.
2. Bewertung der Neuregelung
Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Neuregelung von de...