Inge Saathoff
Der Dezember ist angebrochen und Weihnachten steht vor der Tür. Herrlicher Keksduft liegt in der Luft und überall zwinkern uns freundliche Schokoladenweihnachtsmänner zu. Weihnachten – die Zeit der Besinnlichkeit. Wohl kaum, werden Sie sagen, denn gerade am Ende des Jahres geht es besonders turbulent zu. Beseelt von der Vorstellung, bis zum Jahreswechsel alles zu erledigen, um mit dem neuen Jahr auch einen wirklichen Neuanfang wagen zu können, wird von den Mandanten Zeitdruck verbreitet und die Akten häufen sich noch mehr als sonst. Von den Wünschen, gerichtliche Umgangsregelungen für die Festtage zu erwirken, da Weihnachten wieder so plötzlich kam, will ich gar nicht erst reden. Trotzdem möchte ich Sie bitten, sich einen Moment Zeit für die Geschichte eines Freundes zu nehmen, welche mich nachdenklich gemacht hat:
Die getrennt lebenden Eheleute, beide anwaltlich beraten, handeln eine Regelung zum Unterhalt aus. Beim Notar vereinbaren sie noch kleinere Abweichungen und beurkunden die Regelung. Die Ehefrau bereut die Änderungen und geht zu ihrem Anwalt. Dieser steht vor Antritt seines Urlaubes, schickt aber noch eine Anfechtungserklärung an den gegnerischen Kollegen und ist nun für zwei Wochen nicht erreichbar. Der Ehemann, beraten über die Unwirksamkeit der Anfechtung, hält sich an den Inhalt der Urkunde und zahlt entsprechenden Unterhalt. Die Ehefrau ist erbost und erwartet höhere Zahlungen, da sie, wie sie meint, über den Tisch gezogen worden sei und deshalb auch erfolgreich angefochten habe. Wer juristisch im Recht war, ist gar nicht wichtig. Wichtig ist, welche Eigendynamik der Fall wegen der verschiedenen Wahrnehmungen nahm. Parteien, welche eigentlich durch eine Vereinbarung befriedet werden sollten, hatten plötzlich neuen Streit, der zunehmend eskalierte. Ein bis dahin flexibler Umgang, der z.B. vorsah, dass der Vater die Kinder an bestimmten Tagen morgens zur Schule bringt, wurde auf ein Standardmodell, d.h., alle 14 Tage am Wochenende, eingeschränkt. Eigentlich sollten durch die Anfechtung nur die Ehegattenunterhaltsansprüche gewahrt werden und nun entwickelten sich daraus Probleme beim Umgang zulasten der Kinder.
Ich schildere den Fall nicht, um Verantwortlichkeiten zuzuweisen. Gerade weil mir der Fall nicht als Anwältin, sondern im Freundeskreis bekannt wurde, habe ich Einblicke gewonnen, die einem als Anwalt teilweise verborgen bleiben. Mir wurde deutlich, welche Kettenreaktion ein anwaltlicher Schriftsatz in Bereichen haben kann, die wir uns teilweise gar nicht bewusst machen bzw. noch nicht einmal bewusst machen können. Haben Sie z.B. schon einmal darüber nachgedacht, wie es sich auswirkt, wenn Sie einen gegnerischen Schriftsatz mit einer völlig überzogenen Unterhaltsforderung unkommentiert an Ihren Mandanten übersenden und dieser den Schriftsatz an einem Umgangswochenende erhält? Sie haben als Fachmann schon bei diagonaler Lektüre des Schreibens erkannt, in welchen Punkten die Berechnung streitig werden wird und wo sich realistisch der Unterhaltsanspruch einpendeln dürfte, Ihr Mandant aber sieht nur die absoluten Zahlen und trifft mit dem Gefühl, die Gegenseite wolle ihn finanziell ruinieren, bei Rückgabe der Kinder auf die Kindesmutter.
"Der Flügelschlag eines Schmetterlings kann einen Orkan auslösen." Wir können nicht alle Entwicklungen vorhersehen. Auch können wir Fehler im Tumult des Alltags nicht immer vermeiden. Erst recht können wir nicht an Freitagen davon Abstand nehmen, Post zu versenden, damit diese Mandanten nicht an Umgangswochenenden zugeht. Wir sollten uns allerdings bewusst machen, wie scharf die Waffe unserer Schriftsätze teilweise von den Parteien empfunden werden kann, auch wenn sie aus unserer Sicht ganz sachlich formuliert sind.
Wir wünschen Ihnen eine schöne Weihnachtszeit!
Inge Saathoff, Rechtsanwältin