Das Dreieck "Kind-Eltern-Staat" wird zum Viereck, wenn weitere Personen hinzutreten, die dem Kind wie den Eltern gegenüber mit eigenen Rechten ausgestattet werden sollen. Damit ist u.a. das Problem der Aufspaltung der Elternschaft in eine rechtliche, genetische und soziale angesprochen. Das Gegenüber von rechtlicher und sozialer Elternschaft betreffend hat der Gesetzgeber bis heute keine stimmige Regelung gefunden: Wir finden einige Vorschriften zur rechtlichen Position der Pflege- und der Stiefeltern, die grundsätzlich, d.h. außer bei Gefährdung des Kindeswohls, im Rang hinter der Sorge der rechtlichen Eltern zurücksteht.
Die schwierige Thematik konkurrierender Elternschaften hat das BVerfG durch eine Begriffsbildung bereichert, die vom Gesetzgeber alsbald übernommen wurde: die "sozial-familiäre Beziehung". Die grundlegende Entscheidung des BVerfG vom 9.4.2003 betraf die Rechte leiblicher Väter, die nicht zum Status des rechtlichen Vaters gelangt waren. Es ging in einem Fall um die Befugnis, eine bestehende rechtliche Vaterschaft anzufechten, zum andern um das Recht zum Umgang mit dem Kind. Im ersten Fall diente das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung der Begrenzung, im zweiten Fall der Begründung von Rechten.
a) Der Umgangsfall lag wie folgt: Eine Ehefrau hatte Beziehungen zu einem anderen Mann, aus denen ein Kind stammte. Einige Monate vor der Geburt beendete der Mann die Beziehung zur Mutter, kehrte aber nach der Geburt für etwa zwei Jahre wieder zu ihr zurück. Die Mutter lebte in dieser Zeit in der Ehewohnung, aber von ihrem Ehemann getrennt. Dauer und Intensität der Kontakte des Mannes zum Kind waren im Einzelnen streitig, seine Vaterschaft aber auf Grund von Blutgruppengutachten unbezweifelt. Nachdem der Ehemann wieder in die Wohnung eingezogen war, begehrte der Mann Umgang mit dem Kind, den die Mutter sowie der Ehemann als rechtlicher Vater verweigerten.
Das BVerfG leitete zwar nicht aus dem Elternrecht des leiblichen Vaters, aber aus Art. 6 Abs. 1 GG ein Umgangsrecht her: "Familie" sei auch die "tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen Kindern und Eltern, die für diese Verantwortung tragen". Das schließt auch den leiblichen, nicht rechtlich anerkannten Vater ein, wenn er "tatsächliche Verantwortung" getragen hat und daraus eine soziale Beziehung zwischen ihm und dem Kind entstanden ist, eben das, was das Gericht "sozial-familiäre Beziehung" nennt. Das Interesse sowohl des biologischen Vaters als auch des Kindes am Erhalt dieser Beziehung werden in "Nachwirkung des Schutzes, den zuvor die familiäre Verantwortungsgemeinschaft erfahren hat", von Art. 6 Abs. 1 GG geschützt. Das Gericht setzt diesem Umgangsrecht freilich eine Grenze: Es bestehe nur insoweit, als der Umgang dem Wohl des Kindes dient.
Man kann nun darüber nachdenken, inwieweit der Umgang eines Kindes mit seinem leiblichen Vater seinem Wohl dienen kann, wenn es in der Gemeinschaft mit seiner Mutter und seinem rechtlichen Vater lebt, dessen Vaterschaft gar nicht angefochten werden soll oder kann. Auch lässt sich darüber nachsinnen, ob es ein väterliches Recht auf Kontakte mit einem Kind geben soll, wenn dem keine Pflichtenposition gegenüber dem Kind entspricht – damit solche Pflichten nicht entstehen, hatte das BVerfG das Umgangsrecht gerade nicht auf das Elternrecht, sondern auf den allgemeinen Schutz der Familie gestützt. Das bedingt aber, dass das Kind auch mit seinem leiblichen, nicht rechtlichen Vater eine Familie bildet, also zwei Familien zugehört. Wir sind hier – wie im Kindschaftsrecht nicht selten – an einem Punkt angelangt, in dem komplizierte Ableitungen aus der Verfassung Ergebnisse zeitigen, die rechtspolitisch durchaus kontrovers diskutiert werden können und die auch nicht unbedingt einem rechtsvergleichenden Trend folgen.
Interessant ist, was die Gesetzgebung aus dieser Entscheidung über das Umgangsrecht des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters gemacht hat. In der vom Verfassungsgericht gesetzten Frist ist ein Gesetz ergangen, das über die Konstellation der leiblichen Vaterschaft weit hinausgeht. Der Gesetzgeber hat die Aussage, Familie sei "tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen Kindern und Eltern, die für diese Verantwortung tragen", verallgemeinert und das Tragen von Verantwortung unabhängig von einer Elternschaft als Rechtsgrund für einen Anspruch auf Umgang gesetzt: Allen "engen Bezugspersonen" des Kindes, die für es Verantwortung tragen oder irgendwann einmal getragen haben, kommt ein Umgangsrecht zu, immer vorausgesetzt, dass dieses dem Kindeswohl dient. Für das "Verantwortung-Tragen" soll in der Regel allein schon Zusammenleben mit dem Kind in häuslicher Gemeinschaft über längere Zeit genügen. Wenn das verfassungsrechtlich begründet sein soll, muss jedes Zusammenleben mit dem Kind in einem Haushalt "Familie" i.S.d. Art. 6 Abs. 1 GG sein. Dabei wird m.E. nicht berücksichtigt, dass jede Begründung eines Umgangsrechts Dritter einen Eingriff in das Sorgerecht bedeutet, der ver...