Die Bedeutung der Judikatur des BVerfG für die Entwicklung des deutschen Familienrechts kann kaum überschätzt werden. Viele der Reformgesetze, mit denen das Familienrecht der Bundesrepublik Deutschland fortgebildet wurde, beruhen unmittelbar auf verfassungsgerichtlichen Erkenntnissen und sind von ihnen präformiert. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem funktionellen Sinn auch an der Gesetzgebung Anteil.
Die großen Verdienste des Gerichts liegen, was das Familienrecht betrifft, hauptsächlich auf zwei Feldern: einmal in der kompromisslosen Durchsetzung gleicher Rechte und Pflichten von Mann und Frau in der Familie; zum anderen in der überfällig gewordenen Aktualisierung des Gebots der Gleichstellung nichtehelicher Kinder mit ehelichen. Dem verdanken wir das einheitliche Kindschaftsrecht und eine neue Bewertung der Elternschaft jenseits der Ehe. Auch für die moderne Deutung des Eltern-Kind-Verhältnisses hat das Bundesverfassungsgericht das Fundament gelegt.
Die vom BVerfG gefundenen Lösungen lassen sich allerdings nicht immer als Erfüllung klarer verfassungsrechtlicher Anforderungen nachvollziehen. Das Familienrecht steht nicht nur unter den Anforderungen des Art. 6 GG, sondern bildet den Treffpunkt verschiedener Grundrechte, die in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen können. Das deutsche Verständnis der Grundrechte als System einer umfassenden, alle Rechtsbereiche formierenden Wertordnung lässt es zu, dass aus der Verfassung sehr unterschiedliche, bis ins Detail gehende Lösungen für konkrete Sachprobleme ableitbar scheinen. Die heute geübte Methodik der Verfassungsinterpretation ermöglicht es, rechtspolitische Gestaltungsfragen als Verfassungsfragen vorzuentscheiden und damit – zumindest partiell – der Sachdiskussion zu entziehen. Mit dem Rekurs auf die Prinzipien der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit können auch Detailfragen auf den Prüfstand der Verfassung gehoben werden. Je weiter das Bundesverfassungsgericht in den Bereich rechtpolitischer Gestaltung komplexer Sachprobleme vordringt, desto eher sind seine Erkenntnisse auch dem dort stets präsenten rationalen Für und Wider ausgesetzt. Es fällt auch auf, dass einige normative Aussagen, die das BVerfG aus den Grundrechten und gar aus der Unantastbarkeit der Menschenwürde gewinnt, in vielen anderen Ländern mit einer ganz ähnlichen kulturellen Entwicklung auf wenig Akzeptanz stoßen. Unter diesem Gesichtspunkt ist denkbar, dass ein national gefärbtes Grundrechtsverständnis auf einzelnen Feldern als Hindernis für die europäische Rechtsangleichung wirken kann.
Die vorstehenden Bemerkungen sollen die großen Verdienste des Bundesverfassungsgerichts um die Modernisierung des deutschen Familienrechts nicht schmälern. Dieses Rechtsgebiet wird wohl auch künftig ein zentraler Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Judikatur bleiben. Dafür sorgt der fortlaufende Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse, noch mehr des gesellschaftlichen Bewusstseins, das sich oft schneller und abrupter ändert als die zugrunde liegenden Fakten. Dafür sorgt auch die rastlos ratternde Gesetzgebungsmaschine, die fortlaufend Gesetze, die verfassungsgerichtlich überprüft und gebilligt sind, auf die Halde der Rechtsgeschichte wirft und durch verfassungsrechtlich ungeprüfte ersetzt.