a) Aber was gilt danach? Wie ist der nunmehr für diese Zeit vorgegebene Billigkeitsanspruch in der Praxis umzusetzen? Sicher ist, das sagt die Gesetzesbegründung ausdrücklich, dass anstelle der sehr schematisierenden Betrachtungsweise anhand des tradierten Altersphasenmodells stärker auf den konkreten Einzelfall und tatsächlich bestehende, verlässliche Möglichkeiten der Kinderbetreuung abzustellen ist. Allerdings sind Unterhaltsstreitigkeiten Massengeschäft, weshalb Versuche verständlich erscheinen, Kriterien für die Beurteilung des Billigkeitsanspruchs zu entwickeln und pauschalierende Fallgruppen zu bilden. Zwar hat ungeachtet dessen die Mehrheit der Oberlandesgerichte dem auf eine Einzelfallbetrachtung gerichteten Willen des Gesetzgebers Rechnung getragen und in den Leitlinien entsprechende Formulierungen aufgenommen. Aber es gibt auch Abweichungen. So heißt es in den Leitlinien des Oberlandesgerichts Hamm unter anderem: "Die Mehrheit der Senate geht davon aus, dass bei Berücksichtigung der vorstehenden Kriterien eine vollschichtige Erwerbsobliegenheit neben der Betreuung eines unter 10 Jahre alten Kindes nur selten in Betracht kommt und auch danach die Umstände des Einzelfalls entgegenstehen können." Modifizierte zeitliche Raster enthalten auch die Leitlinien der OLG Schleswig und Frankfurt am Main.
b) Der XII. Zivilsenat hat derartigen – in der Literatur ebenfalls vertretenen – Versuchen einer altersorientierten Schematisierung eine klare Absage erteilt: Es sei nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers nicht haltbar, eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts allein vom Alter eines Kindes abhängig zu machen.
Wie ist also vorzugehen? Ausgangspunkt ist die vom Gesetz vorgegebene Prüfungsreihenfolge und die in die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses aufgenommene Aussage, die Neuregelung verlange keineswegs einen abrupten, übergangslosen Wechsel von der elterlichen Betreuung zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit, im Interesse des Kindeswohls werde vielmehr auch künftig ein gestufter, an den Kriterien von § 1570 Abs. 1 BGB orientierter Übergang möglich sein.
c) Nach dem Willen des Gesetzgebers sind im Rahmen der Billigkeitsentscheidung kind- und elternbezogene Verlängerungsgründe zu berücksichtigen. Da den kindbezogenen Gründen das stärkste Gewicht zukommt, was sich sowohl aus dem Gesichtspunkt der Stärkung des Kindeswohls als auch aus der Gesetzessystematik begründen lässt, sind sie vorrangig zu prüfen. Dabei ist nach der Neufassung des § 1570 BGB wesentlich, dass das Gesetz den Vorrang der persönlichen Betreuung aufgegeben hat; die bestehenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung sind zu berücksichtigen.
Zu fragen ist deshalb zunächst, ob, in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen eine Betreuungsmöglichkeit in einer kindgerechten Einrichtung besteht. Die Obliegenheit zur Inanspruchnahme einer solchen Betreuungsmöglichkeit endet erst dort, wo sie mit dem Wohl des Kindes nicht mehr zu vereinbaren ist. Bei öffentlichen Einrichtungen wie Kindergärten, Kindertagesstätten oder Kinderhorten wird das in der Regel nicht der Fall sein. Die Belange des Kindes können aber dann berührt sein, wenn es in besonderem Maße betreuungsbedürftig ist. Die Beschlussempfehlung des Rechtssausschusses nennt hierzu den Fall, dass ein Kind unter der Trennung besonders leidet und deshalb der persönlichen Betreuung durch einen Elternteil bedarf. Es lassen sich noch weitere Beispiele bilden, etwa wenn bei einem Kind eine schwere Erkrankung vorliegt, mit der umzugehen eine Betreuungseinrichtung überfordert wäre.
Das hat der Senat bei einem Kind, das unter einer chronischen Asthmaerkrankung litt, ohne dass deren konkrete Auswirkungen festgestellt worden waren, allerdings verneint. Er ist auch der Beurteilung entgegengetreten, eine Mutter könne aus kindbezogenen Gründen keiner vollschichtigen Erwerbstätigkeit nachgehen, weil ihr 14 Jahre alter Sohn seit seiner Geburt unter ADS leide, Konzentrationsschwierigkeiten habe, sich nicht selbst organisieren könne und keine Eigeninitiative entwickele, weshalb ihm eine Tagesstruktur vorgegeben und er zu den Hausaufgaben angeleitet und dabei überwacht werden müsse. Diese Feststellungen sagten nichts darüber aus, durch wen eine zusätzliche Betreuung sichergestellt werden könne. Der Sohn besuche problemlos die Schule und nehme an sportlichen Aktivitäten teil, was zeige, dass seine Fremdbetreuung nicht von vornherein ausgeschlossen sei. Sie hänge vielmehr von dem konkreten Betreuungsangebot ab, zu dem deshalb zunächst Feststellungen zu treffen seien.
d) Bereits diese Beispiele belegen, welche Anforderungen an den Sachvortrag des für die Voraussetzungen einer Verlängerung des Betreuungsunterhalts aus Billigkeitsgründen darlegungs- und ggf. beweispflichtigen Elternteils gestellt werden. Ich will in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen, dass im Schrifttum die Frage aufgeworfen wird, ob generell alle Aufgaben der Erziehung und Betreuung undifferenziert auf Dritte übertragen w...