Auch der Unterhaltsgläubiger kann eine Erwerbsobliegenheit haben.
a) Der Ehegatte
Das betrifft zunächst den Berechtigten im Ehegattenunterhalt (§§ 1361 Abs. 2, 1573 BGB). Die eheliche Verantwortung im Trennungsunterhalt und die Eigenverantwortung im nachehelichen Unterhalt verpflichten den Berechtigten zur Minderung seiner Bedürftigkeit. Er hat grundsätzlich – wie der Unterhaltsschuldner – die Pflicht, seine Arbeitsfähigkeit so gut wie möglich einzusetzen und zumutbare Einkünfte zu erzielen. Die Anforderungen an das "Ob" einer Erwerbsobliegenheit sind unterschiedlich ausgestaltet.
aa) Erwerbsobliegenheit beim Trennungsunterhalt
Im Trennungsunterhalt (§ 1361 BGB) kann vom berechtigten Ehegatten nur dann verlangt werden, arbeiten zu gehen, wenn dies von ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen wie frühere Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe sowie nach den wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten erwartet werden kann. Es gelten erst einmal großzügigere Anforderungen bezüglich einer Erwerbstätigkeit als in § 1574 BGB für den nachehelichen Unterhalt. Die bestehenden Verhältnisse sollen geschützt werden. Mindestens im ersten Jahr der Trennung wird regelmäßig weder eine Aufstockung einer zuvor teilschichtigen Erwerbstätigkeit noch bei Haushaltsführung in der Ehe eine erstmalige Erwerbstätigkeit verlangt. Mit zunehmender Dauer und Verfestigung der Trennung nähern sich die Anforderungen an eine Erwerbstätigkeit denjenigen im nachehelichen Unterhalt an. Ist die Scheidung nur noch eine Frage der Zeit, besteht i.d.R. kein Anlass mehr zu großzügigerer Gestaltung der Erwerbsobliegenheit.
bb) Erwerbsobliegenheit beim nachehelichen Unterhalt
Im nachehelichen Unterhalt (§§ 1570 ff. BGB) besteht aufgrund der Eigenverantwortung dagegen grundsätzlich eine Erwerbspflicht, und zwar nach dem Gesetzeswortlaut in dem Umfang, der es dem Ehegatten erlaubt, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen (§ 1569 BGB). Schuldet er danach eine vollschichtige Erwerbstätigkeit, kann er diese gegebenenfalls durch mehrere Teilzeittätigkeiten erfüllen, muss aber möglicherweise auch eine sichere Teilzeitstelle für eine vollschichtige Arbeitsstelle aufgeben.
cc) Angemessene Erwerbstätigkeit
Ist eine Erwerbsobliegenheit zu bejahen, schuldet der Berechtigte in beiden Unterhaltsverhältnissen eine angemessene Erwerbstätigkeit (§ 1574 Abs. 2 BGB). Das ist jede Tätigkeit, die der Ausbildung, den Fähigkeiten, einer früheren Erwerbstätigkeit, dem Lebensalter und dem Gesundheitszustand des Berechtigten entspricht, soweit dies unter Berücksichtigung der ehelichen Lebensverhältnisse – Dauer der Ehe und Dauer der Erziehung von gemeinschaftlichen Kindern – nicht unbillig wäre.
b) Das volljährige Kind
Das volljährige Kind, das sich nicht in der allgemeinen Schulausbildung befindet und keine Ausbildung (mehr) macht, hat grundsätzlich die Obliegenheit, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 Abs. 1 BGB) und damit eine Obliegenheit zur vollschichtigen Erwerbstätigkeit. Anders als im Ehegattenunterhalt kann es sich nicht darauf zurückziehen, nur eine (der Aus- oder Vorbildung) angemessene Erwerbstätigkeit zu schulden. Zwischen Verwandten besteht diese aus der (nach-)ehelichen Solidarität entspringende Einschränkung der Obliegenheit für den Berechtigten nicht. Das volljährige Kind hat vielmehr eine Erwerbsobliegenheit, die vergleichbar ist mit derjenigen des Unterhaltsschuldners gegenüber seinem minderjährigen Kind. Es hat also jede Art von Arbeit anzunehmen, um den Bedarf deckende Einkünfte zu erzielen, wenn es innerhalb angemessener Zeit keine seiner Ausbildung entsprechende Arbeit findet, auch einfachste Tätigkeiten eines ungelernten Arbeiters. Dabei muss der volljährige Berechtigte gegebenenfalls auch einen Umzug an einen anderen Ort in Kauf nehmen.
c) Das minderjährige Kind
Die einzige Ausnahme einer Erwerbspflicht eines Unterhaltsgläubigers bildet das Unterhaltsverhältnis zum minderjährigen unverheirateten Kind (§§ 1601, 1603 Abs. 2 BGB). Dieses hat grundsätzlich keine Erwerbsobliegenheit, es sei denn, es befindet sich weder in der allgemeinen Schulausbildung noch in einer sonstigen Ausbildung. Über die Folgen der Verletzung der Erwerbsobliegenheit in Form der Zurechnung fiktiven Einkommens bestehen unterschiedliche Auffassungen.