Schließlich kann dieselbe Person gleichzeitig unterschiedlichen Obliegenheiten zur Erwerbstätigkeit ausgesetzt sein. Das gilt für die unterhaltsberechtigte geschiedene Ehefrau, die gegenüber dem unterhaltspflichtigen geschiedenen Ehemann eine vollschichtige Erwerbspflicht trifft. Sind gemeinsame privilegierte volljährige Kinder vorhanden, ist sie diesen gegenüber gesteigert unterhaltspflichtig. Das ist auch vorstellbar für den seinen Kindern gegenüber gesteigert unterhaltspflichtigen Elternteil, der zugleich seinen eigenen pflegebedürftigen Eltern Unterhalt schuldet. Gegenüber den Eltern besteht eine vollschichtige, aber keine gesteigerte Unterhaltspflicht. Findet er keine nach seiner Vorbildung zumutbare und mögliche Arbeitsstelle, kann die Unterhaltspflicht gegenüber den Eltern entfallen, während diejenige gegenüber den Kindern als gesteigerte weiterhin bestehen bleibt und er dort weitere Bemühungen um eine Arbeitsstelle entfalten muss.
Die konkrete Erwerbsobliegenheit derselben Person in verschiedenen gleichzeitig bestehenden Unterhaltsverhältnissen kann unterschiedliche Folgen haben, z.B. für den im nachehelichen Ehegattenunterhalt berechtigten Ehegatten. Der BGH hatte im Jahr 2008 einen solchen Sachverhalt zu entscheiden: Die Berechtigte verlangte Unterhalt vom geschiedenen Ehegatten. Bei der Ermittlung des Unterhaltsanspruchs war der Unterhaltsanspruch der beiden volljährigen privilegierten Kinder gegen beide Elternteile zu berücksichtigen. Hier war es so, dass die Berechtigte in beiden Unterhaltsverhältnissen eine Obliegenheit zur vollschichtigen Tätigkeit traf – gegenüber dem geschiedenen Ehemann aus §§ 1569, 1574 Abs. 1 BGB, gegenüber den Kindern war sie anteilig unterhaltspflichtig nach § 1603 BGB. Da die Erwerbsobliegenheit gegenüber dem Ehemann früher, nämlich mit dem Wegfall der Betreuungsbedürftigkeit der damals noch minderjährigen Kinder eingesetzt und sich die Berechtigte damals noch nicht hinreichend um eine Erwerbstätigkeit bemüht hatte, verletzte sie ihm gegenüber ihre Erwerbsobliegenheit. Den Kindern gegenüber setzte die Erwerbspflicht erst mit Volljährigkeit und damit im konkreten Fall zu einem Zeitpunkt ein, als sie keine angemessene Tätigkeit mehr finden konnte. Insoweit lag keine Verletzung der Erwerbspflicht vor.
Die Erwerbsobliegenheit muss im Einzelfall anhand der konkreten Umstände festgestellt werden. Abweichungen von einer vollschichtigen Erwerbspflicht können sich sowohl beim Unterhaltsschuldner als auch beim Unterhaltsgläubiger insbesondere durch Kinderbetreuung, Krankheit, Alter, berechtigte Altersteilzeit oder unverschuldete (teilweise) Arbeitslosigkeit sowie durch die berechtigte Inanspruchnahme einer Ausbildung ergeben. Für den geschiedenen Ehegatten als Unterhaltsgläubiger bilden solche Einschränkungen der Erwerbspflicht eigene Anspruchsgrundlagen (§§ 1570 ff. BGB).
Die Obliegenheit, eine auskömmliche Erwerbstätigkeit zu finden, wenn die tatsächlichen Einkünfte nicht ausreichen, besteht für den Unterhaltspflichtigen wie für den Unterhaltsberechtigten in gleichem Maße.