Die Annahme einer realen Beschäftigungschance durch die Instanzgerichte wird immer wieder vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben. Es vermisst entweder die konkrete Feststellung eines als erzielbar zugrunde gelegten Gehalts, kritisiert die Höhe des für erzielbar gehaltenen Gehalts oder die Annahme einer realen Beschäftigungsmöglichkeit als solche. Ein besonders krasses Beispiel bietet der Fall eines 52-jährigen gelernten Gärtners, der 27 Jahre zuvor einen schweren Unfall mit 45 Prozent Hautverbrennungen erlitten und Folgendes zur fehlenden realen Erwerbschance vorgetragen hatte: Irreparable Verbrennungen dritten Grades an 45 Prozent seines Körpers seien nicht heilbar und führten zu dauerhaften, erheblichen Schmerzen. Trotz Hauttransplantationen sei die verbrannte Haut vernarbt und das Gewebe dauerhaft geschädigt. An heißen Sommertagen könne er sich teilweise nicht bewegen. Hitze wie Kälte verursachten Schmerzen. Auch Luftveränderungen sorgten für Hautreizungen. Er müsse still liegen, teilweise nachts die Beine hochlegen. Eine stehende Tätigkeit könne er nicht ausführen. Die Berührung der Kleidung verursache Hautreizungen, die zu nässenden Wunden führe. Die Haut müsse regelmäßig gekühlt werden. Teilweise müsse er seine Beine komplett mit Hydroverbänden bandagieren. Durch die Verbrennungen sei das Herz-Kreislauf-System dauerhaft angegriffen, es komme zu Funktionsstörungen, Kopfschmerzen und Konzentrationsschwierigkeiten. Dazu hatte er ein ärztliches Attest vorgelegt und die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Das BVerfG hob die Vorinstanz auf, die ohne den Beweisangeboten nachgegangen zu sein, eine reale Erwerbschance gesehen hatte.
Insbesondere bei Frauen, die wegen der Familienphase viele Jahre dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung gestanden haben, wird eine reale Beschäftigungschance – jedenfalls auf eine vollschichtige Arbeitsstelle – häufiger verneint:
Abgelehnt worden ist die reale Chance auf eine vollschichtige Erwerbstätigkeit im Minderjährigenunterhalt für eine Mutter ohne Schulabschluss auf der Sonderschule und ohne Berufsausbildung, die mit 20 Jahren das erste Kind bekommen und dann mindestens 20 Jahre nicht mehr versicherungspflichtig, sondern im Entscheidungszeitpunkt als Haushaltshilfe für 150 EUR im Monat gearbeitet hatte, unter Hinweis darauf, dass im Reinigungsgewerbe überwiegend Teilzeitkräfte gesucht würden. Da die Erwerbsbemühungen unzureichend waren, wurde sie mit einer teilschichtigen Erwerbstätigkeit (6,50 EUR Stundenlohn) fingiert.
Keine Chance auf eine vollschichtige Arbeitsstelle hat das OLG Hamm für eine Gardinenfachverkäuferin gesehen, die nach 19,5 Jahren in dem Beruf innerhalb der folgenden 17 Jahre nur insgesamt ca. drei Jahre geringfügig und auf kurzzeitigen Stellen mit großen Phasen der Arbeitslosigkeit gearbeitet hatte – unter Hinweis auf den Anstieg der Minijobs im Bereich der Verkäufertätigkeit und unter Zitierung von amtlichen Statistiken des Statistischen Bundesamts. Ebenfalls wurde eine reale Erwerbschance verneint für eine vollschichtige Erwerbstätigkeit bei einer ungelernten Verkäuferin nach 25 Jahren Familienarbeit in gehobenen ehelichen Verhältnissen. Es wurde aber eine reale Erwerbschance im Teilzeitbereich angenommen.
Auch bei einer 58-jährigen gelernten Arzthelferin nach 30-jähriger Abstinenz vom Arbeitsmarkt wurde eine reale Erwerbschance verneint und bei einer Frau nach 20 Jahren Abstinenz vom Arbeitsmarkt, die vorher ohne Ausbildung als Sachbearbeiterin in einer Krankenkasse gearbeitet und eine Ehe in sehr guten finanziellen Verhältnissen geführt hatte. Hier wurde zunächst eine Aus- bzw. Weiterbildung als erforderlich angesehen.
Auch bei gesteigert unterhaltspflichtigen Vätern wird gelegentlich die reale Erwerbschance verneint: Ein 29-jähriger Vater ohne Schulabschluss und Berufsausbildung, der längere Zeit in der Vergangenheit in Haft gesessen hatte und keinen Führerschein besaß, stets mit Aushilfsjobs nur Einkünfte unter dem notwendigen Selbstbehalt verdiente, hat keine reale Beschäftigungschance. Obwohl er jetzt eine Arbeitsstelle mit teilweiser Leistungsfähigkeit hatte, durfte nicht der Schluss auf das frühere Vorliegen einer realen Erwerbschance gezogen werden.
Bei einem 44-jährigen Vater, der bis acht Jahre vor der Entscheidung stets als selbstständiger Kaufmann tätig gewesen war, danach psychisch beeinträchtigt, dann immer nur noch vorübergehend vollschichtig beschäftigt und dem wegen Zahlungsunfähigkeit der jeweiligen Arbeitgeber wieder gekündigt worden war, wurde die reale Erwerbschance wegen hoher Arbeitslosigkeit (damals seit Jahren 4 Millionen) abgelehnt.
Bei einem in der Insolvenz stehenden Vater, gegen den ein umfangreiches Ermittlungsverfahren wegen Untreue und Schmiergeldzahlungen läuft, kann mangels Kredit- und Vertrauenswürdigkeit die reale Erwerbschance fehlen.
Eine reale Erwerbschance kann aber auch wegen fehlender Sprachkenntnisse oder aus gesundheitlichen Gründen feh...