Die Erwerbsobliegenheit ist in den verschiedenen Unterhaltsverhältnissen unterschiedlich ausgestaltet. Sie kann alle Beteiligten betreffen.
1. Erwerbsobliegenheit des Unterhaltsschuldners
a) Grundsatz
Den Unterhaltsschuldner trifft in jedem Unterhaltsverhältnis grundsätzlich eine Obliegenheit zur vollschichtigen Erwerbstätigkeit – gegenüber dem (geschiedenen) Ehegatten, den Eltern, dem Kind sowie gegenüber der betreuenden Mutter des nichtehelichen Kindes. Insoweit trifft den Unterhaltsschuldner die Pflicht, die ihm zumutbaren Einkünfte zu erzielen, insbesondere seine Arbeitsfähigkeit so gut wie möglich einzusetzen und eine ihm zumutbare und mögliche Erwerbstätigkeit auszuüben.
Die vollschichtige Erwerbstätigkeit kann der Pflichtige auch durch mehrere Teilzeitstellen ausfüllen.
b) Vollschichtige Erwerbstätigkeit
Wie viele Wochenstunden umfasst eine vollschichtige Arbeitsstelle? Mittlerweile ist über Tarifverträge die Wochenarbeitszeit unterschiedlich festgelegt. So hat z.B. die Metall- und Elektroindustrie West 35 Stunden/Woche, der Einzelhandel 37,5 Stunden/Woche, der Öffentliche Dienst Ost 40 Stunden/Woche, die Beamten im Bund, in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen 41 Stunden/Woche oder die Landesbeamten in Hessen und Thüringen 42 Stunden/Woche. Nach der Rechtsprechung des BGH bildet die 40-Stunden-Woche die Obergrenze der durchschnittlichen vollschichtigen Tätigkeit. In der Instanzrechtsprechung wird – soweit ersichtlich – die 40-Stunden-Woche ebenfalls als vollschichtige Tätigkeit angesehen. An diesem Arbeitsumfang muss sich der Unterhaltspflichtige daher in allen Unterhaltsverhältnissen orientieren. Zum Minderjährigenunterhalt siehe unten lit. d.
c) Erwerbsobliegenheit im Kindesunterhalt
Bei dem Unterhalt gegenüber Kindern ist zu unterscheiden: Gegenüber dem volljährigen, nicht privilegierten Kind besteht eine vollschichtige Erwerbsobliegenheit. Besonders streng sind die Anforderungen an den Unterhaltspflichtigen gegenüber einem minderjährigen oder einem privilegierten volljährigen Kind (§ 1603 Abs. 2 BGB). In diesem Unterhaltsverhältnis muss der Unterhaltsschuldner im Rahmen seiner gesteigerten Erwerbsobliegenheit alle verfügbaren Mittel für den eigenen und den Unterhalt der Kinder aufwenden, und zwar bis zur Grenze des notwendigen Selbstbehalts. Die Arbeitsfähigkeit muss er so gut wie möglich einsetzen, zumutbar erzielbare Einkünfte muss er sich anrechnen lassen. Hier bedeutet das, er muss auch Tätigkeiten annehmen, die unter seinem Ausbildungsniveau liegen oder ausbildungsfremd sind – bis hin zu einfachsten Aushilfs- und Gelegenheitsarbeiten, wenn er damit den Unterhalt sichern kann. Im zumutbaren Rahmen kann auch ein Ortswechsel verlangt werden.
Nach altem Recht kam die gesteigerte Erwerbsobliegenheit im Minderjährigenunterhalt der betreuenden (geschiedenen) Ehefrau zugute. Durch den Gleichrang wirkte sich die gegenüber den Kindern bestehende gesteigerte Erwerbsobliegenheit in gleichem Maße auf sie aus. Lediglich der unterschiedliche Selbstbehalt zog bei der Leistungsfähigkeit Grenzen. Seit der Unterhaltsrechtsreform besteht gegenüber der betreuenden Ehefrau "nur" die Obliegenheit zur vollschichtigen Tätigkeit.
d) Umfang der Erwerbstätigkeit
Im Minderjährigenunterhalt stellt sich die Frage, ob der gesteigert Unterhaltspflichtige ggf. mehr arbeiten muss als in den anderen Unterhaltsverhältnissen, wenn das tatsächliche oder gar das fiktiv zugerechnete Haupteinkommen nicht ausreicht. Da er in den anderen Unterhaltsverhältnissen eine vollschichtige Erwerbstätigkeit schuldet, würde das bedeuten, dass im Kindesunterhalt nach § 1603 Abs. 2 BGB mehr als im Rahmen einer vollschichtigen Arbeitsstelle gearbeitet werden müsste. Eine solche Obliegenheit kann im Minderjährigenunterhalt tatsächlich bestehen.
Die objektive Obergrenze arbeitsrechtlich zulässiger und damit unterhaltsrechtlich zumutbarer Erwerbstätigkeit, die auch im Minderjährigenunterhal...