Interview mit Dr. Meo-Micaela Hahne, Vors. Richterin am Bundesgerichtshof a.D.
Dr. Meo-Micaela Hahne
FF/Schnitzler: Liebe Frau Hahne, Sie sind seit gut einem Jahr im Ruhestand. Sie haben 20 Jahre lang dem Bundesgerichtshof, davon einige Jahre als stellvertretende Vorsitzende und dann seit 2001 11 Jahre lang als Vorsitzende des Familiensenats, angehört. Wenn Sie auf diese lange Zeit zurückblicken, was waren für Sie die Highlights in der Revisionsrechtsprechung des Familiensenats des BGH?
Hahne: Eine der wichtigsten und für alle Menschen bedeutsamsten Fragen war die nach der Verbindlichkeit des Patientenwillens und seines Selbstbestimmungsrechts, wenn es darum geht, ob ihm entgegen seinem früher geäußerten Willen am Ende seines Lebens noch künstlich lebensverlängernde Maßnahmen aufgezwungen werden können, wenn er selbst zu Willensäußerungen nicht mehr in der Lage ist (z.B. Komapatienten). Der Senat sah sich seinerzeit vor die Aufgabe gestellt, in einer bisher nicht bzw. nur unvollkommen geregelten Rechtslage Klarheit und Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen, die in diesem Entscheidungsprozess am Ende des Lebens eines Menschen eingebunden sind, also in erster Linie für den Patienten selbst, aber auch für Betreuer, Ärzte und Pflegepersonal. Der Senat hat in seinen beiden Grundentscheidungen vom 17.3.2003 – XII ZB 2/03 – und vom 8.6.2005 – XII ZR 177/03 – im Wege richterlicher Rechtsfortbildung den Vorrang eines zuvor geäußerten Willens eines einwilligungsfähigen Patienten betont, der auch dann beachtlich bleibt, wenn der Patient später zu eigenverantwortlichem Handeln nicht mehr in der Lage ist. Dies folgt aus der Würde und dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen. Die Grundsätze dieser Rechtsprechung haben später durch das 2. und 3. BetrÄndG Eingang in die gesetzliche Regelung der §§ 1901a ff. BGB gefunden, mit der die sog. Patientenverfügung verbindlich ausgestaltet wurde. Auch auf strafrechtlichem Gebiet wurde dies durch die Entscheidung des 2. Strafsenats vom 25.6.2010 – 2 StR 454/09 – abgesichert.
Wichtig war auch die Rechtsprechung zur Frage der Inhaltskontrolle von Eheverträgen.
FF/Schnitzler: Wenn Sie die politische Macht hätten, würden Sie die Zuständigkeitsregelung ändern und den Senat zu einem reinen Familiensenat machen? Zurzeit ist er ja seit einigen Jahren auch noch zuständig für das gewerbliche Mietrecht.
Hahne: Einer meiner früheren Stellvertreter, der von mir sehr geschätzte Kollege Sprick, hat den Aufgabenbereich des XII. ZS humorvoll dahin zusammengefasst, dass er für "alle teuren Dauerschuldverhältnisse" zuständig sei. Gewiss wäre der Zuschnitt des Senats – auch unter Einbeziehung des Erbrechts, mit dem es zuweilen Berührungspunkte gibt – homogener ohne das gewerbliche Mietrecht. Indessen hat der Senat bereits seit über 20 Jahren diese Materie mit bearbeitet, auch was das neue Mietrecht ab 2001 angeht. Die hier mittlerweile rückläufigen Eingangszahlen belegen, dass er mit seiner Rechtsprechung für die Praxis gesicherte und vorausberechenbare Grundlagen geschaffen hat, es sich also heute im Wesentlichen um eine problemfreie beruhigte Zone handelt. Dieser für die Praxis nicht zu gering einzuschätzende Kontinuitätsvorteil würde aufgegeben, wenn das gewerbliche Mietrecht, was sich im Übrigen auch vom Wohnungsmietrecht unterscheidet, nunmehr einem anderen Senat überantwortet würde, der sich in die Rechtsmaterie erst einarbeiten müsste und sich anfänglich wohl vermehrten Rechtsmitteln ausgesetzt sähe, da die Praxis eine eventuelle neue Richtung ausloten will. Im Übrigen ist die Zuständigkeitsregelung der Senate keine politische Frage, sondern ausschließlich Sache der zuständigen Gremien des BGH selbst im Rahmen seiner Selbstverwaltung.
FF/Schnitzler: In Ihre Zeit als Senatsvorsitzende fällt die Befassung mit der Unterhaltsrechtsreform, insbesondere der Neuausrichtung des § 1570 BGB, Betreuungsunterhalt, aber auch mit dem § 1578b BGB, der zentralen Begrenzungsvorschrift, die es früher nicht gab. Die vorherige gesetzliche Regelung hatte die Praxis weitgehend unberücksichtigt gelassen. Erst seit dem 1.1.2008 ist im Grunde genommen die Möglichkeit ernsthaft gegeben, die Befristung gesetzlich umzusetzen.
Hahne: Herabsetzungs- und Befristungsmöglichkeiten des nachehelichen Unterhalts gibt es keineswegs erst seit der Reform von 2008, sondern bereits seit dem 1. UÄndG von 1986, das in § 1573 Abs. 5 a.F. BGB eine zeitliche Befristung für die Unterhaltstatbestände des § 1573 (u.a. also den Aufstockungsunterhalt) und in § 1578 Abs. 1 S. 2 a.F. BGB für alle Unterhaltstatbestände eine zeitliche Begrenzung und Herabsetzung des Unterhalts vom Maßstab der ehelichen Lebensverhältnisse auf denjenigen des eigenen angemessenen Lebensbedarfs vorsah. Sie spielten in der Praxis anfangs allerdings keine große Rolle. Das änderte sich aber zusehends ab 2001, als der Senat seine frühere Rechtsprechung zur Unterhaltsberechnung nach der sog. Anrechnungsmethode zugunsten der Additionsmethode aufgab. Letztere führte automat...