Eva Becker
Der völlige Gleichklang von Interessen ist es nicht, der Familienrechtler umtreibt. Stattdessen ist es die Kollision derselben, die Mühe bereitet. Zu den Grundpflichten des Rechtsanwaltes gehört es, keine widerstreitenden Interessen zu vertreten, § 43a Abs. 4 BRAO. Manchen Ärger mit widerstreitenden Interessen verursachen wir uns allerdings ohne Not selbst:
"In Scheidungsverfahren soll es häufig vorkommen, dass sich die scheidungswilligen Eheleute in der Annahme völligen Interessengleichklangs … gemeinsam durch einen Anwalt beraten lassen wollen …" berichtet der BGH (IX ZR 322/12) in seiner Entscheidung vom 19.9.2013. Anlass, sich hiermit zu befassen, war die Vergütungsklage einer Anwältin, die ein Ehepaar gemeinsam über die Modalitäten von Trennung und Scheidung beraten hatte. Nach dem Beratungsgespräch nahm sich die Ehefrau einen anderen Anwalt, weil von "völligem Interessengleichklang" plötzlich nicht mehr die Rede war und auch der Ehemann beendete das Mandat kurz darauf. Von ihm verlangte sie im Ergebnis erfolglos die Zahlung ihres Honorars.
In einem anderen Fall (BGH, AnwZ (Brfg) 35/11, Entscheidung vom 23.4.2012) hatte sich eine Anwältin gegen einen belehrenden Hinweis ihrer Kammer, wonach sie die zugleich bearbeiteten Mandate eines Vaters, den sie in seiner güter- und unterhaltsrechtlichen Auseinandersetzung mit der Ehefrau, und dessen volljährigen Sohnes, der Unterhalt (nur) von der Mutter verlangen wollte, beenden sollte, im Ergebnis erfolgreich gewehrt.
Jeder von uns kennt solche Situationen und wird sich mit der Frage befasst haben, ob die Bearbeitung der Mandate ein Tätigwerden in widerstreitendem Interesse, also einen Verstoß gegen § 43a Abs. 4 BRAO, darstellen könnte.
Nun kann man der Meinung sein, die Grenzen des Rechts ausloten zu sollen. Viele Konstellationen sind höchstrichterlich noch nicht entscheiden. Selbst die Frage nach der Interessenkollision im Falle der gleichzeitigen Vertretung des volljährigen Kindes und seines potentiell unterhaltspflichtigen Elternteils ist mit der zitierten Entscheidung keineswegs eindeutig geklärt. Denn es kommt auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an, wie der BGH betont.
Man kann aber auch der Meinung sein, dass man die Grundpflicht der Anwaltschaft nicht auf die Probe stellen muss und dem volljährigen Kind schlicht kompetente Kollegen empfiehlt und die so einträchtig scheinenden scheidungswilligen Eheleute unter Hinweis auf den Kern der anwaltlichen Pflichten entscheiden lässt, wer das Mandat erteilt und dem anderen eine Beratung andernorts anrät. Dann muss uns die Frage nicht mehr umtreiben, wie intensiv man dem Sprössling ohne die Anwesenheit des die Anwaltsrechnung bezahlenden Vaters erklärt hätte, dass die Zuneigung zwischen Eltern und Kindern dem Wandel unterliegt und ein hoher Unterhaltsanspruch gegen den wirtschaftlich potenten Vater ebenso von Vorteil sein kann, wie ein vollstreckbarer Titel gegen ihn. Es erübrigt sich dann auch der abrupte Abbruch des Beratungsgespräch mit den in der irrigen Annahme des völligen Interessengleichsklang einträchtig erscheinenden Eheleuten, wenn man erkennt, dass der bereits verrentete Ehemann kein Interesse an der Scheidung von seiner deutlich jüngeren Ehefrau haben sollte.
Damit wäre Vielem gedient: dem Ansehen der Anwaltschaft, weil die anwaltlichen Grundpflichten wie Unabhängigkeit, Verschwiegenheit und uneingeschränkte Loyalität den Berufsstand ausmachen; den Mandanten, weil sie keinen Anlass haben daran zu zweifeln, dass wir nur ihren Interessen verpflichtet sind. Und nicht zuletzt uns selbst wäre gedient, weil uns das Nachdenken über den potentiellen Parteiverrat nicht umtreiben muss.
Autor: Eva Becker
Eva Becker, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht, Berlin
FF 12/2013, S. 469