Renata von Pückler2015, Studien zum deutschen und internationalen Familien- und Erbrecht Bd. 22, 218 Seiten, 54,95 EUR, ISBN 978-3-631-65346-3
"Unfair zu Muttchen" titelte Sebastian Haffner im Jahr 1977 einen Artikel im "Stern" und brachte damit das schon damals im Zuge der ersten Eherechtsreform diskutierte Prinzip nachehelicher Eigenverantwortlichkeit der geschiedenen Ehegatten zu Fall. Auch heute noch – dreißig Jahre später – diskutieren die Familienrechtler das Verhältnis von Autonomie und Abhängigkeit begründender Solidarität im nachehelichen Unterhaltsrecht. Sie tun es, wie die Dissertation von Renata von Pückler zeigt, auf hohem Niveau. Denn es ist nicht banal die Entscheidung zu treffen, ob "Muttchen" ausgedient oder in einem zeitgemäßen nachehelichen Unterhaltsrecht noch eine Perspektive gegen die auch in ganz Deutschland präsente DDR-Mutti hat, die gut ausgebildet mit Unterstützung von stattlichen Kindertagesstätten den Kindern eine liebevolle Mutter, sich selbst eine selbstbewusste auch finanziell emanzipierte Berufstätige und dem Ehemann eine Partnerin ist, so wie auch er ihr.
Von Pückler zeichnet in ihrer Arbeit den rechtshistorischen Weg des Unterhaltsrechts von 1900 bis heute nach. Das ist nicht spröde. Wer verstehen will, warum sich der deutsche Gesetzgeber so schwer damit tut, das Familienrecht zu entmuttichen, tut gut daran, sich der Zeiten zu erinnern, aus denen das deutsche Familienrecht stammt. Er tut auch gut daran, die sozioökonomischen Grundlagen zu reflektieren, die das heutige Familienrecht determinieren. Beides tut von Pückler. In einer Einleitung werden die soziologischen Daten zu Familie und Scheidung aufbereitet. Zwar ist die textliche Aufbereitung soziologischer Daten juristentypisch. Man kann sich vorstellen, dass der Doktorvater jede Grafik mit dem Hinweis verboten hat, man wolle kein Bilderbuch herausgeben. Der Rezensent hat dann der Versuchung doch nicht widerstanden und schöne selbsterklärende Grafiken aus dem Text destilliert und damit seinem Verständnis auf die Sprünge geholfen.
Auch die rechtshistorische Darstellung der Entwicklung des Unterhaltsrechts ist keineswegs historisierend, sondern erhellt die Schwierigkeit des Problems und der Problemlösung.
Die Autorin beschäftigt sich intensiv mit der Bestimmung des Unterhaltsbedarfs und der Entwicklung der Rechtsprechung bis zur Dreiteilungsmethode des BGH, deren Bestand das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung vom 25.1.2011 (FamRZ 2011, 437) jäh beendete. Roma locuta, causam finitam könnte man sagen, aber das Bundesverfassungsgericht war ja nur berufen, den Weg des BGH zu verwerfen und nicht in der Verlegenheit, die vertrackte Angelegenheit einer Lösung zuzuführen.
Mit den nach der Entscheidung des BVerfG entwickelten Ansätzen zur Lösung der Geldverteilung zwischen dem vorangegangenen geschiedenen Ehegatten, dem Unterhaltspflichtigen und dem nachfolgenden unterhaltsberechtigten Gatten befasst sich der Hauptteil des Buches. Das ist spannend, weil sich die Autorin die unendliche Mühe gemacht hat, die verschiedenen Ansätze zu systematisieren, das heißt, sie vergleichbar zu machen. Das klingt banal, versteht doch jeder von uns, wenn ein Autor seine Methode der Geldverteilung darstellt. Schwer ist es aber, systematisch genau den Unterschied der Berechnungsmetoden der einzelnen Lösungsansätze darzustellen. Der Rezensent hat dies – recht zeitnah zur Entscheidung des BVerfG – einmal versucht und fünf Alternativrechnungen zur Dreiteilungsmethode systematisiert dargestellt (FamRB 2011, 183). Seitdem hat er sich geschworen: nie wieder!
Die Autorin destilliert aus der von ihr vollständig erfassten Literatur insgesamt vier Lösungswege des Problems heraus: Dreiteilung auf der Ebene der Leistungsfähigkeit (§ 1581 BGB), individuelle Bedarfsbestimmung auf der Ebene des § 1581 BGB, den Ausgleich auf der Ebene des § 1578b BGB und den Ausgleich auf der Ebene des § 1609 BGB. Diese Lösungsansätze prüft die Autorin einfachrechtlich und verfassungsrechtlich. Das macht Spaß. Natürlich erinnert die Prüfungsreihenfolge "Grammatikalische Auslegung", "Systematische Auslegung", "Teleologische Auslegung" und "Historische Auslegung" an die Universität, aber was ist eigentlich schlimm daran? Im Gegenteil: Ein bisschen mehr Rechtsdogmatik und Wissenschaft täten den in formularbuchhafter Programmbedienungs-Routine verhafteten Praktikern doch oft gut. Was die Autorin dann mit der verfassungsrechtlichen Prüfung der Lösungsansätze unternimmt, ist juristisch fein. Jeder einzelne Lösungsansatz wird im Hinblick auf die Bindungswirkung der Entscheidung des BVerfG vom 25.1.2011 und anschließend an Art. 2 und 6 GG gemessen. Wer das kann, braucht das Buch nicht. Ich hätte es nicht gekonnt und brauche deswegen das Buch. Diese verfassungsrechtliche Prüfung ist so sicher und überzeugend systematisch dargestellt, dass man nach der Lektüre sich eines Updates im Verfassungsrecht unterzogen fühlt. Fortbildung nach § 15 BRAO in ihrer schönsten Form. Das verwundert eigentl...