Der vorstehenden Entscheidung liegt ein Sachverhalt zu Grunde, welcher den Stoff für eine antike Tragödie bilden könnte. Es geht um Leben und Tod, um die Verzweiflung eines Ehemannes angesichts des Leidens seiner Frau, sein eigenes Zerbrechen und schließlich um das Auseinanderbrechen einer Familie. Die Grenzen zwischen Täter und Opfer verschwimmen.
Die Entscheidung des BGH bringt noch keine endgültige Entscheidung in der Sache, wohl aber wichtige Klarstellungen zu verschiedenen Punkten.
Ein tragischer Sachverhalt
Die Ehefrau (die spätere Erblasserin) und ihr Mann (der Beklagte) haben drei Kinder: einen Sohn (den Kläger) und zwei Töchter. Sie errichten ein Berliner Testament mit Pflichtteilsstrafklausel. Eine Patientenverfügung liegt dagegen nicht vor. Ob die Erblasserin mündlich geäußert hat, wie zu verfahren ist, wenn sie schwer pflegebedürftig wird, ist ungeklärt. 1977 erkrankt die Ehefrau an Alzheimer. Betreuer wird ihr Ehemann. 2002 muss sie dauerhaft ins Pflegeheim. Eine Kommunikation mit ihr ist nicht mehr möglich. Nach einem epileptischen Anfall wird sie über eine PEG-Sonde künstlich ernährt. Neun Jahre kümmert sich der Ehemann um sie. Er verfällt in Depressionen und überlebt einen Suizidversuch. Am 9.2.2012 durchtrennt der Ehemann den Verbindungsschlauch zur Magensonde. Diese PEG-Verbindung konnte durch das Pflegepersonal wiederhergestellt werden. Die Frau verstirbt – unabhängig davon – einige Wochen später.
Strafrechtlich wird der Ehemann wegen versuchten Totschlags in einem minder schweren Fall (§ 213 StGB) zur Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt.
Schließt das Motiv der Verzweiflungstat die Erbunwürdigkeit aus?
Der Sohn wendet sich zivilrechtlich gegen den Vater. Vorab verlangt er seinen Pflichtteilsanspruch, wechselt aber dann die Strategie. Er möchte die "Erbunwürdigkeit" des Beklagten festgestellt haben, § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Falls er Erfolg haben sollte, würde der Beklagte als Erbe ausscheiden. Die Erblasserin würde dann von ihren Kindern, dem Kläger und seinen Schwestern, beerbt.
Das LG Gießen ist der Argumentation des Klägers gefolgt und hat die Erbunwürdigkeit des Beklagten festgestellt.
Demgegenüber sah das OLG Frankfurt im Berufungsurteil angesichts der tragischen Besonderheiten des Falles keine Erbunwürdigkeit des Beklagten. § 2239 BGB sei lediglich eine Regelvermutung, bei welcher der Einzelfall besonders gewürdigt werden könne. Die Handlung des Beklagten sei nicht durch die bei Tötungsdelikten typische aggressive Motivation geprägt. Vielmehr handele es sich um einen Akt der Verzweiflung und Ausweglosigkeit des Beklagten.
Die Auffassung des BGH
Der BGH beschäftigt sich ausführlich mit der Frage, ob die Verurteilung wegen versuchter Tötung in einem minder schweren Fall die Erbunwürdigkeit i.S.v. § 2339 BGB ausschließt. Das verneint der BGH zu Recht. Der Gesetzeswortlaut ist eindeutig: "Erbunwürdig ist: … wer den Erblasser vorsätzlich und widerrechtlich getötet oder zu töten versucht … hat". Unter dem Begriff "vorsätzliche und widerrechtliche Tötung" versteht man Taten, die unter §§ 211, 212 StGB subsumiert werden können. Nach herrschender strafrechtlicher Auffassung stellt § 213 StGB keinen eigenen Straftatbestand dar, sondern nur eine Strafzumessungsregelung für einen minder schweren Fall. Nur eine Mindermeinung geht davon aus, dass § 2339 BGB eine Art Regelvermutung bilde, die im Einzelfall entkräftet werden könne.
Der BGH betont den besonderen Wert des Lebens. Schutzbedürftig sind insbesondere Patienten, die sich selbst nicht mehr äußern oder wehren können.
In Situationen, in denen der Erblasser keine Patientenverfügung errichtet hat und sich ein aktueller Sterbewunsch nicht anderweitig ermitteln lässt, darf der Beklagte nicht eigenmächtig handeln. Vielmehr muss nach dem Mehr-Augen-Prinzip verfahren werden (Bevollmächtigter und Arzt/Bevollmächtigter und Betreuungsgericht). Ansonsten besteht die Gefahr, dass es zu Tötungen oder Tötungsversuchen an Erblassern kommt, ohne dass die Voraussetzungen einer Tötung auf Verlangen gemäß § 216 StGB oder diejenigen einer Patientenverfügung gemäß § 1901a ff. BGB erfüllt sind. Allein aufgrund der tragischen Umstände des Falles, um eine Erbunwürdigkeit zu verneinen, würde dazu führen, dass die Konturen der §§ 2339, 2343 BGB verwischt werden. Vielmehr bietet ihm das Gesetz auch bei Fehlen einer Patientenverfügung Möglichkeiten, die von ihm gewünschte Entscheidung herbeizuführen – im Zusammenwirken mit dem Arzt oder dem Betreuungsgericht.
Andererseits versucht der BGH der besonderen Situation des Beklagten gerecht zu werden. Ausnahmsweise kann – so der BGH – unter Anwendung des Rechtsgedankens des § 2343 BGB die "Erbunwürdigkeit" verneint werden, wenn ein in der Vergangenheit – auch formlos – geäußerter Wille des Erblassers ermittelt werden kann, wonach lebenserhaltende medizinische Maßnahmen abzubrechen sind, wenn er sich in einer gesundheitlich aussichtslosen Lage befindet: Ob dies hier der Fall ist, ist noch offen.
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