a) Trotz der hohen Bedeutung des VA im Rahmen der Kernbereichslehre, die in der Einordnung in den zweithöchsten Rang zum Ausdruck kommt, besteht bei Vereinbarungen zum VA eine erhebliche Dispositionsfreiheit. Der BGH relativiert denn auch seine Klassifizierung mit der Feststellung, dass der VA als Teilhabe an dem in der Ehe erworbenen Versorgungsvermögen mit dem Zugewinnausgleich (der bekanntlich sich der ehevertraglichen Disposition am weitesten zugänglich erweist) verwandt sei. Dies entspricht auch der Absicht des Gesetzgebers, der mit der Reform des VA mehr Gestaltungsspielraum für die Ehegatten schaffen wollte und zwar sowohl in Eheverträgen als auch in Scheidungsvereinbarungen. Diese Absicht wurde ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen, und zwar in § 6 Abs. 1 S. 1 VersAusglG, wo festgestellt ist, dass Ehegatten Vereinbarungen über den VA schließen können. Diese Neuregelung bedeutet eine Erweiterung der Vertragsfreiheit gegenüber § 1587 o BGB a.F., als für Eheverträge eine Sperrfrist von einem Jahr galt (§ 1408 Abs. 2 S. 2 BGB a.F.) und Scheidungsvereinbarungen genehmigungsbedürftig waren (§ 1587 o Abs. 2 S. 3 BGB a.F.). Jetzt werden die Grenzen nur noch durch die Rechtsprechung zur richterlichen Inhaltskontrolle gezogen, die in § 8 VersAusglG kodifiziert wurde.
b) Der BGH hat deshalb auch festgestellt, dass – entgegen einer verbreiteten Praxis der Instanzgerichte – grundsätzlich keine Verpflichtung des Gerichts bestehe, bereits von Amts wegen umfassende Ermittlungen zu den wirtschaftlichen Folgen eines etwaigen Verzichts auf den VA durchzuführen. Eine solche Verpflichtung gebe es regelmäßig nur dann, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit vorliegen oder ein Beteiligter die Unwirksamkeit der Vereinbarung rügt.
c) Die Dispositionsfreiheit bei VA hat der BGH insbesondere für folgende Fälle erwähnt:
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Bereits in seiner Grundentscheidung hat der BGH "jedenfalls bei deutlich gehobenen Vermögensverhältnissen" auf eine "weitergehende" Dispositionsbefugnis hingewiesen. Dies gilt ganz besonders dann, wenn durch Vermögen für das Alter und die Invalidität zuverlässig vorgesorgt ist. |
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Ebenso räumt der BGH beanstandungsfrei Verzichtmöglichkeiten ein, "etwa wenn die Ehe erst im Alter geschlossen wird". Hier ist insbesondere an Fälle zu denken, in denen bereits ausreichende Versorgungsanrechte zur Verfügung stehen. |
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Bereits in einer seiner ersten Entscheidungen erwähnt der BGH die Möglichkeit, das im Verzicht auf Altersversorgung liegende Risiko durch eine Kompensation auszugleichen. In der Praxis ist dies die vorrangig in Betracht kommende Gestaltungsmöglichkeit. Mit dem Musterfall einer angemessenen Kompensation befasst sich der BGH im Fall "VA 5/Versicherungsagentur". Dort hatte die Ehefrau in der Ehezeit kaum Versorgungsanrechte erworben. In einer Ehekrise trafen die Ehegatten vermögensrechtliche Regelungen, welche die Ehefrau begünstigten und schlossen den VA aus. Der Ehemann verpflichtete sich zudem, auf eine Lebensversicherung der 49 Jahre alten Ehefrau bis zu ihrem 65. Lebensjahr monatliche Beträge von 500 EUR einzuzahlen, was er auch bislang tat. Von ganz großer praktischer Bedeutung ist dabei der Hinweis des BGH, dass die Kompensationsleistung zu einem angemessenen, aber nicht notwendig zu einem gleichwertigen Ausgleich führen müsse. |
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Im Hinblick auf die generell große Dispositionsfreiheit beim VA und die vorrangige Herausstellung der subjektiven Seite dürften überhaupt Vereinbarungen zum VA kontrollfest sein, wenn sie fair zustande kommen und weder zu Lasten des Kindeswohl gehen noch dazu führen, dass ein Ehegatte im Alter keine Versorgung hat. |
d) Die soeben geschilderte Rechtsprechung des BGH zur richterlichen Inhaltskontrolle beim VA gilt in den Grundlinien für alle familienrechtlichen Verträge, in denen er Gegenstand der Vereinbarung ist. Also nicht nur für vorsorgende Eheverträge, sondern auch für sog. Kriseneheverträge, scheidungsnahe Vereinbarungen, Scheidungseheverträge und Scheidungsvereinbarungen, selbst wenn sie richterlich protokolliert sind.
Autor: Dr. Ludwig Bergschneider , Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht in München, Lehrbeauftragter an der Universität Regensburg
FF 12/2015, S. 470 - 475