Der Bundesgerichtshof hat bereits in seinem Urt. v. 12.4.2006 der damaligen Beschränkungsnorm des § 1573 Abs. 5 BGB eine Struktur gegeben, die er der Folgezeit in ständiger Rechtsprechung auf die Neuregelung des § 1578b BGB angewendet hat. Nach dieser Rechtsprechung ist der nacheheliche Unterhalt in der Regel nicht unmittelbar mit Rechtskraft der Ehescheidung zu befristen oder zu begrenzen. Dem geschiedenen Ehegatten ist vielmehr eine Übergangsfrist zuzubilligen, während der er Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen i.S.d. § 1578 Abs. 1 BGB erhält.
Nach Ablauf der Schonfrist ist zu unterscheiden: Erzielt der Ehegatte das Einkommen, das er auch ohne die Ehe erwirtschaften würde oder könnte er dieses Einkommen bei einer vollständigen Ausnutzung seiner Arbeitskraft erzielen, ist sein angemessener Bedarf gedeckt; für einen weiteren Unterhaltsanspruch ist kein Raum. Die Zahlungsverpflichtung endet mit dem Ablauf der Schonfrist (Befristung). Ist der bedürftige Ehegatte allerdings bei vollständiger Erfüllung seiner Erwerbsobliegenheiten nicht in der Lage, das Einkommen zu erarbeiten, dass er ohne die Ehe hätte erzielen können, liegt ein ehebedingter Nachteil vor, der lebenslang auszugleichen ist. Eine Befristung des Unterhaltsanspruchs scheidet im Regelfall aus; dieser ist allerdings zu begrenzen auf die Differenz zwischen den tatsächlich erzielten und den ohne die Ehe erzielbaren Einkünften, also dem angemessenen Lebensbedarf. Bei Ehen von langer Dauer können Befristung und Begrenzung unter dem Gesichtspunkt der nachehelichen Solidarität insgesamt ausscheiden.
Diese vom Bundesgerichtshof gefundene Auslegungsregel arbeitet mit einer eigenen Begrifflichkeit, die in der Folgezeit immer wieder eingesetzt und mit Leben ausgefüllt wurde. Zur Frage nach der Dauer der Schonfrist, dem Vorhandensein und der Kompensation ehebedingter Nachteile, dem angemessenen Lebensbedarf und der Bedeutung der Ehedauer gibt es inzwischen eine umfassende, bereits kasuistisch zu nennende Rechtsprechung, die im Folgenden dargestellt werden soll.
a) Ehebedingte Nachteile
aa) Der Begriff der ehebedingten Nachteile
Eines der gewichtigsten, wenn nicht das gewichtigste der Anwendungskriterien des § 1578b BGB ist das des ehebedingten Nachteils. Sein Stellenwert innerhalb der genannten Billigkeitsmomente folgt bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes, wonach insbesondere zu berücksichtigen ist, inwieweit durch die Ehe Nachteile entstanden sind im Hinblick auf die Möglichkeit, für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Die ehebedingten Nachteile sind daher vorrangig zu prüfen und können sich nach § 1578b Abs. 1 S. 3 BGB ergeben aus der Dauer der Pflege und Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes sowie aus der Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit während der Ehe. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers ging es in erster Linie um berufliche Nachteile, die der bedürftige Ehegatte durch die Rollenverteilung in der Ehe erlitten hat. Maßgebend ist dabei die tatsächlich praktizierte Rollenverteilung. Die Vorschrift des § 1578b BGB sanktioniert nicht eheliches Fehlverhalten. Der Einwand des Unterhaltspflichtigen, er habe stets auf die Aufnahme, Fortsetzung oder Ausweitung der Berufstätigkeit des Unterhaltsberechtigten gedrängt, ist unbeachtlich.
Um die erlittenen Nachteile – wie es in einem Unterhaltsrechtsstreit erforderlich ist – zu beziffern, hat der Tatrichter zwei Fragen zu klären:
Wie hoch ist das Einkommen, das der bedürftige Ehegatte tatsächlich erzielt oder bei vollständiger Ausnutzung seiner Arbeitskraft erzielen könnte?
Und:
Wie hoch ist sein angemessener Lebensbedarf i.S.d. § 1578b BGB, wie hoch also das Einkommen, das der bedürftige Ehegatte erzielen könnte, wenn er nicht wegen der Rollenverteilung in der Ehe seine Erwerbstätigkeit aufgegeben oder eingeschränkt hätte?
Diese zunächst sehr einfach klingenden Fragen nach tatsächlichen und fiktiven Einkünften stellen erhebliche Anforderungen an den Sachvortrag der Beteiligten. Wäre es dem bedürftigen Ehegatten gelungen, die vor der Ehe begonnene Ausbildung zu beenden? Hätte er eine Anstellung gefunden und in dem erlernten Beruf Fuß gefasst? Wäre er ohne die Ehe sogar befördert worden, hätte Karriere gemacht? Die Beantwortung dieser Fragen erfordert das Nachzeichnen einer möglichen beruflichen Entwicklung. Ein Nachzeichnen, das umso schwieriger ist, je früher der Abbruch oder die Einschränkung der beruflichen Tätigkeit erfolgt sind. Zu Hilfe kommt dem Tatrichter dabei die Möglichkeit, die hypothetischen Einkünfte zu schätzen. Er kann ...